
Risiko Migration?
Ruud Koopmans präsentiert seine Thesen zur Asylpolitik. Foto: Andreas Wolkenstein
Im Wahlkampf zur jüngsten Bundestagswahl war „Migration“ eines der Kernthemen. Der Soziologe Ruud Koopmans stellte im Korbinians Kolleg im Hotel Bachmair Weissach nun einen Vorschlag für die Asylpolitik vor. Diesen hält er für „alternativlos“.
Probleme des Sozialsystems
Politik ist zwar kein Wunschkonzert. Aber ein akademischer Blick auf politische Fragen erlaubt mitunter das ein oder andere Gedankenexperiment. Der aus den Niederlanden stammende Soziologe Ruud Koopmans führte ein solches Gedankenexperiment in der jüngsten Ausgabe des Korbinians Kollegs im Hotel Bachmair Weissach in Rottach-Egern durch. Wäre es nicht wünschenswert, fragte Ruud Koopmans, wenn in Sachen Migration der Bundestag jedes Jahr beschließen könnte, wie viele Migranten man im Folgejahr aufnehmen will? Diese Zahl richte sich nach dem Bedarf an Arbeitskräften und die potentiellen Migranten würden in ihren Heimatstaaten vorab geprüft. Der Vorteil: Lange Asylverfahren entfielen und jeder wisse vorher, wer kommt. Migration könnte man als Antwort auf die Probleme des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels gestalten, gab sich der Soziologe sicher. Er legte in seinem Vortrag indes nahe, dass die gegenwärtige Situation weit entfernt ist von dieser „Träumerei“. Asylpolitik in Deutschland bedeute, dass „wir immer mehr Menschen bekommen, die in beschränktem Maß geeignet sind, die Probleme des Sozialsystems zu beheben“, konstatierte Ruud Koopmans.
Asylpolitik nicht haltbar
Der Grund dafür liegt aus seiner Sicht im gegenwärtigen Asylsystem, das er in einem Buch aus dem Jahr 2023 als „Asyl-Lotterie“ bezeichnete. Mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung (non-refoulement) hat das Völkerrecht etwa die Zusage verankert, dass kein Geflüchteter zurückgewiesen werden darf, bei dem Grund zur Annahme besteht, dass ihm in seinem Heimatland Verfolgung oder Folter droht. In der Folge könnte man nicht vorab planen, wen man im eigenen Land braucht und wen man nicht möchte, betonte Ruud Koopmans im Korbinians Kolleg. Auch hier zeichnete der Berliner Wissenschaftler ein düsteres Bild: Unkontrollierte Migration stelle ein Sicherheitsrisiko dar, wie er mit Verweis auf die aus seiner Sicht hohe Zahl an Kriminalität im Kontext von Migration urteilt. Aber auch aus humanitären Gesichtspunkten sei die deutsche und europäische Asylpolitik nicht haltbar, urteilte Ruud Koopmans weiter. Schließlich verspreche es Schutz nur denjenigen, die es überhaupt an die Grenzen Europas schaffen.
Ruud Koopmans (Mitte) diskutiert seine Thesen mit Wilhelm Vossenkuhl (links) und Korbinian Kohler. Foto: Andreas Wolkenstein
Abkommen mit Drittstaaten
Für eine Lösung des Migrationsproblems schlägt er vor, die Kontrolle über die Grenzen wieder zu erlangen. Konkret bedeutet das, dass Migranten nicht zwingend in Deutschland untergebracht werden müssten. Man solle vielmehr mit anderen Staaten Abkommen treffen und Asylgesuche dort prüfen, so der Soziologieprofessor. In anderen Worten: Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, kommt dann in ein ganz anderes Land, das sich um das weitere Asylverfahren kümmert. Gleichzeitig könnte man Kontingente an Schutzsuchenden direkt aus deren Heimatstaaten nach Deutschland holen, um so auch humanitären Verpflichtungen nachzukommen. Vorbilder für diese Lösung sieht Ruud Koopmans in Australien, wo eine linksgerichtete Labour-Regierung entsprechende Abkommen mit Ruanda und Papua-Neuguinea traf. „Der Zufluss hat dann sofort gestoppt“, erklärte Koopmans im Bachmair Weissach. Doch nicht nur in Australien hat man sich mit dieser Form der Migrationskontrolle beschäftigt. Ähnliche Vorschläge fänden sich auch im Grundsatzprogramm der CDU, betonte Ruud Koopmans, der früher Mitglied bei den niederländischen Grünen war.
Die richtigen Fragen stellen
„Kriege und Krisen. Die Risiken der Gegenwart“, so lautete das Thema der Vorlesungen im Korbinians Kolleg diesem Wintersemester. Dass Migration eine solche Krise darstellt, mag man mit Blick auf die Präsenz in Medien und Politik vielleicht glauben. Und auch Koopmans Vortrag legt dies nahe. Ein genauerer Blick lässt indes Zweifel aufkommen. So mag es stimmen, dass bestimmte Asylsuchende in Deutschland vom Staat mehr empfangen (in Form von Sozialleistungen) als dass sie geben (in Form von Sozialabgaben). Wer aber nicht genau hinschaut und fragt, warum das der Fall ist, der wird nur allzu schnell in an Populismus grenzender Manier eine „Kontrolle der Grenzen“ fordern. Nur ein Vorschlag: Man könnte ja auch fragen, ob Asylsuchende die richtigen Leistungen erhalten und ob sie nicht mehr arbeiten würden, wenn man sie vernünftig behandelt. Klappt denn die Versorgung mit medizinischer oder psychologischer Hilfe auf eine Weise, die Menschen arbeitsmarktfähig macht?
Diskussion mit Besuchern nach Ruud Koopmans Vortrag im Korbinians Kolleg. Foto: Andreas Wolkenstein
Verkürzter Demokratiebegriff
Wenn man, wie Koopmans, lieber den großen Wurf bevorzugt und das gesamte Asylsystem reformieren möchte, dann wäre es aber nötig, den Vorschlag zu präzisieren. In welche Länder soll man Asylsuchende denn schicken? Koopmans blieb seinem Publikum konkrete Aussagen jenseits einer Aufzählung möglicher Kandidaten schuldig. Demokratisch brauchen sie seiner Meinung nach nicht sein, es werde schließlich nicht die Mitwirkung an „ruandischer Innenpolitik“ gefordert, so Koopmans mit Blick auf Ruanda als einen möglichen Partnerstaat. Doch hier scheint ein verkürzter Demokratiebegriff zum Tragen zu kommen: Demokratien zeichnen sich nicht nur durch Mitwirkungsrechte aus, sondern auch durch Minderheitenschutz und Menschenrechte.
Koopmans, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie an der Humboldt-Universität Berlin lehrt und forscht, ist keine unumstrittene Person, die TAZ etwa berichtete bereits 2016 über studentische Proteste gegen ihn. Wer Ruud Koopmans zuletzt im Korbinians Kolleg über Migration sprechen hörte, weiß warum.