Zwischen Dschungel und ewigem Eis

Die schneebedeckten Gipfel der Annapurna-Himal und Dhaulagiri-Berge, Nepal. Foto: IW

Reisereportage

Nepal ist das Sehnsuchtsland vieler Bergbegeisterter – mit acht Achttausendern, fünfzig Siebentausendern und fünfhundert Sechstausendern. Man muss nicht unbedingt Extrembergsteiger sein, um Höhenluft zu schnuppern und staunend das Gipfelglühen der höchsten Berge der Welt zu erleben. Jedoch selbst wenn es nicht auf die Achttausender geht, eins ist sicher: „Nepali flat“ bedeutet immer ein Auf und Ab über tausende Treppenstufen.

Unsere kleine Gruppe um Willy Kravanja aus Schliersee hatte sich hohe Ziele gesteckt: Ein Trekking durch das touristisch wenig erschlossene Nar-Phu-Sperrgebiet 15 Kilometer von der tibetischen Grenze entfernt. Zwei Dörfer – Nar und Phu – auf etwa 4 200 Metern Höhe und der Kangla Pass mit 5 300 Meter als höchster Punkt der Tour. Der Bergführer und Ranger organisiert seit Jahrzehnten gemeinsam mit seinem nepalesischen Partner Rinji Sherpa Expeditionen und Trekkings in Nepal, seinem Sehnsuchtsland.

Nepalreise - Dauerregen in Chame
Schlechtwetter – wir hoffen auf eine Erlaubnis der Behörden, unser Trekking fortzusetzen. Foto: IW

Aber wie es so ist in den Bergen – das Wetter ist unberechenbar. Ein heftiger Schneeeinbruch in den Höhenlagen zwingt uns nach ein paar Tagen des Ausharrens auf 2 670 m Höhe zu einer radikalen Touränderung. Statt weiter in kalte, hohe Bergregionen vorzudringen, geht’s über abenteuerliche Offroad-Pisten im Jeep nun Richtung Dschungel. Nepal liegt auf dem Breitengrad von Ägypten und so sehen wir statt Geröll und Schnee in den folgenden Tagen Affen und Wasserbüffel, Bougainvilleas, Bananenstauden, Weihnachtssternbäume und Rhododendren so groß wie Jahrhunderte alte Eichen.

Treppauf- und treppab geht es, immer unserem umsichtigen nepalesischen Guide Ambar Tamang nach, der vorn das angemessene Tempo vorgibt. Am Ende gehend behält Ugen Pasang Sherpa fröhlich jeden einzelnen im Auge, damit niemand verloren geht. Begleitet wird unsere achtköpfige Gruppe außerdem von vier jungen Trägern. Damit lernen wir gleich drei der über hundert unterschiedlichen Volksgruppen Nepals kennen: die buddhistischen Sherpa und Tamang und die hinduistischen Rai.

Üppige Vegetation, üppige Farben
Üppige Vegetation, üppige Farben – wir durchwandern ein Gebiet, in dem überwiegend Gurung und Magar leben. Foto: IW

Achtzig Prozent aller Nepali sind Hindu. Während im Everest-Gebiet und dem Norden der Annapurna-Runde überwiegend Buddhisten leben und Gebetsfahnen im Wind flattern, führt die „Poonhill Runde“, unsere Alternativroute, nun durch hinduistisch geprägte Landstriche. Vorbei an Reisfeldern und kleinen Bauernhäusern, friedlichen Wasserbüffeln und freundlichen Menschen, die Kohl, Reis, Mais, Tomaten, Gerste, Mandarinen und Chillies anbauen.

Von Birethani, dem Ausgangpunkt unseres „Poonhill Treks“, geht es zunächst über Hängebrücken, Steintreppen und Reisterrassen hinauf in das malerische Ghandruk mit seinen vielen kleinen Steinhäusern. Als es plötzlich aufklart, trauen wir unseren Augen kaum: Nach sechs Schlechtwettertagen zeigen sich zum ersten Mal die Schneegipfel klar und majestätisch in der Ferne. Morgens folgt ein Schauspiel, dass sich für uns nun Tag für Tag wiederholen wird: Um sechs Uhr in der Früh das Gipfelglühen, wenn die ersten Sonnenstrahlen auf die Schneeflanken der Annapurna-Gipfel treffen. Ein erhabener, magischer, andächtiger Moment, der dich still werden lässt.

Passüberquerung 2025 Nepal
Passüberquerung – Der Thapla Pass auf 3 165 m statt wie ursprünglich geplant der Kangla Pass auf 5 300 Metern im Nar-Phu-Gebiet. Foto: IW

Weitere tausende Steinstufen später erreichen wir am nächsten Nachmittag die Ansiedlung Chhomrong und unsere Lodge mit atemberaubenden Blick auf Annapurna Süd und den Machapuchare. Weiter geht‘s am nächsten Morgen entlang malerischer Bäche, Wasserfälle und dichter Wälder hinauf nach Tadapani und tags drauf durch sagenhafte uralte Rhododendrenwälder und über den Thapla Pass auf 3 165 m nach Ghorepani. Vom malerischen „blaue Dorf“ starten wir in aller Herrgottsfrüh zu unserer Sonnenaufgangswanderung zum Gipfel des Poon Hill. Auf 3 210 Metern überrascht uns eine sagenhafte 360-Grad-Aussicht und die Erhabenheit des Gipfelglühens der höchsten Berge der Welt. …und ein dampfender Milchkaffee, mit dem dem Ugen Sherpa uns überrascht.

Aussicht von Tadapani auf die Sieben- und Achttausender
Aussicht von Tadapani auf die Sieben- und Achttausender. Foto: IW

Wenn man schon denkt, das alles lässt sich landschaftlich kaum toppen, führt der Weg nun entlang kleiner Bauerndörfer mit üppiger tropischer Vegetation und durch Urwälder ins malerische Sikha. Adlerpärchen kreisen am Himmel, grüne Sittich-Schwärme fliegen über uns hinweg und neugierige Ziegen knabbern an unseren Wanderhosen. Und während die Schneegipfel weiterhin in der Ferne leuchten, geht‘s tags drauf weiter nach Tatopani, wo uns heiße Quellen zum Relaxen nach den vergangenen Trekking-Tagen einladen.

Unsere nepalesischen Guides
Immer gut gelaunt: Unsere Guides Ugen Pasang Sherpa und Ambar Tamang. Foto: IW

Hier ist dann auch die Zeit gekommen, uns von den fabelhaften Guides Ugen Pasang Sherpa und Amber Tamang sowie unseren vier Rai-Trägern zu verabschieden. Wir bekommen von ihnen eine Torte überreicht, auf der in Deutsch geschrieben steht „Wir werden euch vermissen“. Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Wir können ihnen gar nicht genug danken für ihre Begleitung, Organisation, das Tragen unseres Gepäcks, ihre Umsichtigkeit, Freundlichkeit – und Freundschaft, die daraus entstanden ist. Daher gibt es ein kleines Fest zu feiern, bei dem gegessen, getanzt und gesungen wird, bevor es am nächsten Tag weiter geht nach Pokhara, der zweitgrößten Stadt Nepals.

Nepal Kinderspielplatz
Schnappschuss aus dem Jeep-Fenster: Kinder beim Spielen. Foto: Rudi Hauptvogel

In dem von zerstörerischen Erdbeben und Monsunen gebeutelten Nepal benötigt man für die Strecke von 200 Kilometern zwischen Kathmandu und Pokhara bis zu sieben Stunden Fahrzeit. Der Straßenbau ist ein Kampf gegen Windmühlen, kaum repariert oder fertiggestellt, fallen Straßen dem nächsten Monsun und Murenabgängen zum Opfer. Drei Tage lang rumpeln wir während der Wanderreise über derartige Straßen und können die wagehalsigen Fahrer der Jeeps und Busse nur bewundern. Unterwegs sehen wir das Land in seiner ganzen religiösen und kulturellen Vielfalt vorüberziehen.

Abenteuerliche Wege für Jeeps, Trekker und Tiere
Abenteuerliche Wege für Jeeps, Trekker und Tiere. Foto: IW

In Pokhara liegen wieder Buddhismus und Hinduismus nah beieinander und wir wandern hinauf zur buddhistischen Peace Pagoda und weiter zur 15 Meter hohen hinduistischen Shiva-Statue mit sagenhaftem Ausblick über den Fewo-See und die Achttausender. Zum Abschluss stehen noch drei Tage Kultur in Kathmandu auf dem Programm.

Die 15 Meter hohe Shiva-Statue, die größte Nepals, thront auf einem Berg über Pokhara und dem Fewo-See
Die 15 Meter hohe Shiva-Statue, die größte Nepals, thront auf einem Berg 566 hm über Pokhara und dem Fewo-See. Foto: IW

Wir schlängeln uns durch die lebhafte Hauptstadt zum geschichtsträchtigen Durban Square und zum Swayambhunath-Tempel, besser bekannt als Affentempel, dem ältesten buddhistischen Tempel des Kathmandu-Tals, der uns mit seiner goldenen Stupa und den allsehenden Buddha-Augen in seinen Bann zieht. Auch die alte Kaiserstadt Bhaktapur, seit vielen Jahren World Heritage, und Boudnath, der wichtigste buddhistische Tempel Nepals, stehen auf unserem Programm. Wir sind überwältigt vom Verkehrschaos, von Farben und Gerüchen – und immer wieder von der Freundlichkeit der Menschen.

Boudnath in Kathmandu, Nepal
Den allsehenden Augen Buddhas, wie hier beim Boudnath in Kathmandu, begegnet man überall in Nepal. Foto: IW

Dass es nicht nur ein sportlicher Trek ist, sondern eine Reise zur Kultur und Mentalität Nepals, ist Willy Kravanja ein Herzensanliegen. Seit vielen Jahren lebt er nach dem Leitsatz von Marcel Proust: „Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern mit neuen Augen zu sehen.“ Mit uns in Nepal ist auch Rudi Hauptvogel, wie Willy Kravanja einer der Tegernseer Heimatführer. Er unterstützt seit einigen Jahren innerhalb der „Freunde Nepals“ das Himalayan Komang Home, eine Unterkunft für 36 Secondary School-Kids. In Kathmandu übergibt er einen Spendenscheck an Lehrerin Nyima Bhuti und ihre Schützlinge, die er nach Abschluss der Trekkingreise noch vier Tage begleitet.

Spendenprojekt Nepal Rudi Hauptvogel & Freunde Nepals
Spendenprojekt – Rudi Hauptvogel besucht die 36 Schulkinder des „Himalayan Komang Home“. Foto: Rudi Hauptvogel

In Kathmandu heißt es schließlich Abschied nehmen – voneinander nach drei intensiven gemeinsamen Wochen, und von dem gastfreundlichen Land. Ganz sicher ist es nicht die letzte Reise dorthin. Offen geblieben ist ja noch der Trek ins abgelegene Nar-Phu-Gebiet. Die Sehnsucht bleibt. Und die Verbindungen und Freundschaften bleiben auch.

Die Trekkingreise wurde organisiert von Willy Kravanja und Rinji Sherpa von Baruche Treks and Expeditions. Wer an das Himalayan Komang Home spenden möchte, kann sich an Rudi Hauptvogel wenden oder an den Verein Freunde Nepals (Verein zur Förderung der deutsch-nepalesischen Beziehungen e.V. – einer privaten Initiative, die unterschiedliche Projekte bündelt). Ein weiterer Beitrag über Nepal ist in der 43. Ausgabe der KulturBegegnungen auf S. 23 über Ingrid Versen und die Sir Edmund Hillary Stiftung Deutschland.

 

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