Das neue Evangelium

„Das neue Evangelium“: Revolte für die Würde

Das letzte Abendmahl mit Regisseur Milo Rau. Foto: Armin Smailovic

Film zum Auftakt des Festivals für Menschenrechte

Noch ein Film über die Passionsgeschichte? Ja, noch ein Film über das Leben und Leiden von Jesus Christus, dringend notwendig, denn Milo Rau schafft es mit „Das neue Evangelium“ Historie mit Gegenwart, Religion mit Politik zu verweben und die Frage zu beantworten: Wer wäre Jesus heute? Der Film wurde im FoolsKINO als Auftakt für das „Festival für Menschenrechte“ im Mai gezeigt.

Er wäre vielleicht Politaktivist Yvan Sagnet, aus Kamerun stammend und in Italien für die Würde von Migranten unermüdlich kämpfend. Mit ihm als Hauptdarsteller hat der Schweizer Regisseur Milo Rau einen Glücksgriff getan. Er ist nicht nur ein fantastischer Messias, dem man seine Mission vor 2000 Jahren abnimmt, sondern er hat ebendiese Mission auch heute.

„Das neue Evangelium“ ist ein Film, der auf mehreren Ebenen spielt. Zum einen ist er inspiriert von Pier Paolo Pasolinis Film „Das 2. Evangelium – Matthäus“, 1964 in Matera gedreht. Der damalige Darsteller des Jesus, Enrique Irazoqui, kürzlich verstorben, spielt jetzt Johannes den Täufer, der Drehort ist derselbe geblieben, Matera, Kulturhauptstadt und Touristenmagnet.

Menschenrechte

Die Organisatoren des Festivals für Menschenrechte Monika und Manfred Lehner, Barabar Bertram, Thomas Jarzina und KulturVision als Veranstalter wählten diesen Film als Auftaktveranstaltung für das Festival aus, das vom 20. bis zum 22. Mai in in der Reihe „anders wachsen“ Holzkirchen stattfindet.

Revolte der Würde Politaktivist Yvan Sagnet. Foto: Armin Smailovic

Vor den Toren der Stadt Matera liegen die Ghettos, in denen ohne Wasser und Strom Flüchtlinge hausen, die auf den Tomatenplantagen wie Sklaven ausgebeutet werden. Hier spielt die zweite, dokumentarische Ebene des Films, der Zuschauer erfährt anhand der Bilder und der Interviews mit den Migranten, wie sie ausgebeutet und würdelos leben müssen. Und die Frage stellt sich, wofür würde Jesus heute kämpfen?

Die Antwort ist: Für eine Revolte der Würde. Die zweite Ebene des Films ist also auch eine politische Ebene, eine Botschaft.

Menschenverachtung und Lust an der Gewalt

Der Film verwebt diese beiden Segmente mit einem dritten Segment, indem immer wieder Szenen des „Making of“ eingestreut werden. Und so ist die schockierendste Passage des Films nicht die Kreuzigung, sondern ein Casting, bei dem Komparsen zeigen sollen, wie sie Folterszenen von Jesus verkörpern würden. Ein weißer Laiendarsteller mit einem Stock malträtiert einen (schwarzen!) Plastikstuhl mit einer derartigen Hingabe, Menschenverachtung und Lust an der Gewalt, dass sich die Frage stellt, was hier aus dem Vorborgenen sichtbar wird. Dass das Casting in einer Kirche stattfindet, verstärkt die erschütternde Situation, in der der Komparse am Ende voller Verachtung den Stuhl bespuckt.

Revolte für die Würde

Der Film „Das neue Evangelium“ schwenkt mühelos zwischen den drei Ebenen hin und her. Da geht Jesu durch das Ghetto und durch die Tomatenfelder und spricht: Folget mir. Dann erklärt Milo Rau, er könne keinen Film machen, ohne die unsäglichen Zustände zu zeigen. Die Rolle Jesus in seiner Bedeutung gehe heute weit über die Religion hinaus und habe eine internationale politische Mission.

Und dann ein Schwenk zu einem leerstehenden Containerdorf. Für viele Millionen Euro sei es errichtet worden, berichtet ein Migrant, aber sie müssten in primitiven Baracken oder auf der Straße hausen. „Wir sind Rebellen, wir wollen Arbeit schaffen, wir wollen Zugang zu Wohnungen, Papieren.“ Der Wandel hin zur Würde, das sei die Aufgabe der Revolte für die Würde. „Dafür seid ihr Apostel“, sagt Jesus zu seinen Gefährten.

Das neue Evangelium
Auf dem Meer. Foto: Thomas Eirich-Schneider

Interessanterweise sind die Apostel Muslime, Ivan Sagnet bezeichnet sich als Christ. Einer erzählt, wie sie Wüste und Meer überquerten, die Familie zurückließen und Sehnsucht nach einem friedlichen Leben hatten. „Und hier werden wir ausgebeutet.“

Jesus begegnet dem Teufel, der Ehebrecherin und spricht den wichtigen Satz: „Und wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“ Maria Magdalena salbt ihn, Judas verrät ihn, kurze Sequenzen zeigen das Leben des Menschenfischers auf und das letzte Abendmahl und die Angst Jesu vor dem Kommenden.

Das neue Evangelium
Jesus auf dem Meer. Foto: Thomas Eirich-Schneider

„Tötet den Schwarzen, kreuzigt ihn“, schreit die Menge, unter ihnen Touristen mit Handys. Und Jesus geht seinen Weg mit dem Kreuz auf der Schulter. Der Bürgermeister Materas war von Milo Rau gefragt worden, ob der Pontius Pilatus spielen möge, der sich bekanntlich die Hände in Unschuld wäscht. Aber der Bürgermeister sah sich lieber in der Rolle des Simon von Kyrene, der Jesus ein Stück das Kreuz abnimmt. Und so schlüpfte er vor laufender Kamera in das historische Gewand und trägt des anderen Last. Ob er es auch in seiner Rolle als Politiker tut, oder vielleicht sogar noch ein bisschen mehr?

Das neue Evangelium
Jesus trägt das Kreuz. Foto: Armin Smailovic

Wo bleibt die Hoffnung in diesem Film, der in bewegender Weise die biblische Welt auf das Heute überträgt? Sie ist in der Figur Yvan Sagnets und seiner Mitaktivisten sichtbar. Und er hat bereits einiges erreicht, auch wenn er selber sagt, dass das System immer noch dasselbe sei und die Ghettos eine Schande. Insbesondere die Lage der Frauen, die sich als Prostituierte verdingen müssen, da sie keine andere Arbeit bekommen, sei schrecklich.

NoCap-Produkte für die Würde

Aber der Film und ein neues Gesetz, das Ausbeutung unter Strafe stellt, habe einiges bewirkt. Was aber jeder Verbraucher jetzt selbst in der Hand hat, das ist: Nicht die billigen italienischen Dosentomaten kaufen, sondern NoCap-Produkte, ein von Yvan Sagnet gegründetes Unternehmen, und damit die Menschen aus der Sklaverei befreien.

Fazit: „Das neue Evangelium“ sollte Pflichtprogramm für alle Schulen werden.

Der nächste Film in der Reihe „anders wachsen“ im FoolsKINO wird am 15. Mai um 11 Uhr im Rahmen des Klimafrühlings „Anders essen“ mit Büffet gezeigt und am 17. Mai gibt es um 17 Uhr „Wer wir waren“.

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