
Der heiße Draht zu Gott?
Bringt Künstliche Intelligenz (KI) den Menschen näher zu Gott? Foto: pixabay
Über Künstliche Intelligenz und Religion (1)
Während manch einer in Anbetracht der Weltlage an der Intelligenz der Menschheit zweifelt, führt die Künstliche Intelligenz (KI) ihren Siegeszug durch sämtliche Lebensbereiche fort. Ob Diagnosealgorithmen in der Medizin oder ChatGPT im Unterricht, die „Computer, die sich selbst programmieren“ (Pedro Domingos) erfüllen wertvolle und wichtige Aufgaben. Doch können sie auch für die Religion eine Rolle spielen? Sind sie eine Art Ersatzpriester oder lediglich ein hilfreiches Werkzeug, mit dem man gute Predigten schreibt? In einer zweiteiligen Artikelserie gehen wir der Frage nach, welche Rolle KI für die Religion spielen kann und ob KI die Menschen näher zu Gott bringt. Hier, im ersten Teil, geht es dabei um Begriff, Geschichte und Funktion von KI, während in Teil zwei verschiedene Beispiele diskutiert werden, wo KI in der Religion Anwendung findet.
Was ist Intelligenz?
Was Intelligenz ist, scheint umstritten: Reicht es, gut Schach spielen zu können? Oder ist intelligent, wer sich auch geschickt durch die soziale Umwelt bewegt? Und sind die kriegerischen Auseinandersetzungen, die die Weltlage aktuell dominieren, Ausdruck von strategischer Intelligenz oder von abgrundtiefer Dummheit (von fehlender Moral ganz zu schweigen)? Wenn schon keine Einigkeit darüber erzielt werden kann, was Intelligenz überhaupt ist, dann könnte bezweifelt werden, dass der Begriff „Künstliche Intelligenz“ Sinn macht. Der Begriff selbst geht auf John McCarthy, Marvin L. Minsky, Nathaniel Rochester und Claude Shannon zurück. Die KI-Pioniere stellten im August 1955 einen Antrag auf Förderung eines Forschungsprojektes, bei dem sie innerhalb von zwei Monaten eine Maschine entwickeln wollten, die all das kann, was Menschen können.
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Stetes Auf und Ab
Die Geschichte hat gezeigt, dass das Projekt etwas länger brauchen sollte als die zwei geplanten Monate. Dennoch sind die Aktivitäten der vier Wissenschaftler in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Sie reihen sich ein in eine lange Geschichte der Versuche, menschenähnliche Maschinen zu bauen. Schon der sogenannte Mechanische Türke aus dem Jahr 1769 war ein solcher Versuch, der sich letztlich aber als Fälschung herausstellte: Das Wesen, das die Form eines Menschen hatte und wie ein Urzeitroboter wirkte, konnte etwa Schach spielen. Es sorgte für viel Verwirrung, bis es 1835 durch Edgar Allan Poe entlarvt wurde. In der Maschine saß ein Mensch, der für die „menschlichen“ Fähigkeiten sorgte. Die Mathematisierung und Mechanisierung der Logik durch Gelehrte wie Gottfried Wilhelm Leibniz und George Boole bereitete dann den Boden dafür, dass McCarthy und seine Kollegen den Versuch unternehmen konnten, sämtliche menschlichen Fertigkeiten einer Maschine beizubringen. Seither folgt die Entwicklung intelligenter Maschinen einem stetigen Auf und Ab: Sogenannte KI-Winter folgen Hochzeiten der Forschung. Aktuell befinden wir uns in einer solchen Hochzeit, nachdem vor wenigen Jahren ChatGPT die digitale Welt erobert hat.
Schachspielen erfordert logische Fertigkeiten. Foto: pixabay
Schwieriger als Schach
Doch bringt uns dieser Blick auf die Geschichte weiter in der Frage, was intelligent an KI ist? Glücklicherweise müssen keine definitorischen Fragen geklärt werden, um über KI zu sprechen. Ein mehr auf die Funktion von KI gerichteter Blick genügt. So schreiben etwa Mustafa Suleyman und Michael Bhaskar in ihrem 2025 auf deutsch erschienenen Buch „The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das grösste Dilemma des 21. Jahrhunderts“ (C.H. Beck), dass KI diejenige Wissenschaft sei, die Maschinen beibringt, menschenähnliche Fähigkeiten zu erlernen. Als besonders einfach gelten regelbasierte Fähigkeiten wie etwa das Schachspiel. So wundert es nicht, dass bereits im Jahre 1997 der Mensch im Schach von einem Computer besiegt wurde. Mehr Schwierigkeiten hat ein Computer mit denjenigen menschlichen Fähigkeiten, die gefühlt keinen großen gedanklichen Aufwand benötigen, im Detail aber hochkomplex sind: Das Erkennen einer Person auf einem Foto etwa oder das Verstehen eines Zeitungsartikels.
Wie Peter einen Hund erkennt
Doch seit der Entwicklung des sogenannten „Deep Learning“ in den frühen 2000er-Jahren ist auch dieses Problem gelöst. Die Idee dahinter: Man ahmt menschliches, auf der Aktivität von Neuronen basierendes Denken und Wahrnehmen nach. Genauso, wie die Neuronen in unserem Gehirn gewissermaßen Schaltstellen sind, die Informationen weitergeben (Output), wenn sie einen bestimmen Input bekommen, funktionieren Algorithmen ebenfalls als mathematische „Informationsweitergabesysteme“. Nehmen wir zur Veranschaulichung an, dass Peter einen Hund vor sich stehen sieht. In seinem Gehirn läuft die visuelle Information ein, dass dort vor ihm ein vierbeiniges, haariges Wesen steht, und die entsprechenden Neuronen in Peters Gehirn, die für solche Fälle verantwortlich sind, „feuern“. Zugleich werden Neurone aktiv, die mit der auditiven Information – der Hund bellt nämlich – versorgt werden. Und so bildet sich in Peter die Erkenntnis, dass er seinen Hund Bello sieht und ihn streicheln sollte.
Dient als Vorbild für das maschinelle Lernen („Deep Learning“): Neurone des menschlichen Gehirns. Foto: pixabay
Komplexer Prozess
Entwickler von KI ahmen diese Vorgehensweise nach, indem sie mathematische Operationen erstellen, die ganz ähnlich funktionieren: Ein derartiges künstliches Neuron empfängt Informationen und „informiert“ weitere künstliche Neuronen, sobald eine (vorgegebene) Schwelle an Informationsmenge erreicht ist. Damit wird es möglich, einem Computer das Foto eines Hundes zu zeigen. Eine erste Schicht von Neuronen prüft dann zum Beispiel die Farbe eines jeden Bildpixels (ist es schwarz oder weiß?) und gibt die Information an eine zweite Schicht weiter. Die wiederum prüft ganze Pixelreihen und fragt danach, ob sich irgendwo Kanten oder Ecken befinden. Hat sie die entsprechende Information zusammengesetzt, geht geht es weiter, bis ganze Areale auf dem Foto identifiziert und dann als Hund klassifiziert werden. Natürlich ist der Prozess deutlich komplexer und es gibt unterschiedliche Methoden, dem Algorithmus zu ermöglichen, das, was er sieht, als Hund zu kennzeichnen.
Vom Bild zur Sprache
Diese Beschreibung genügt aber, um deutlich zu machen, wie Algorithmen die Fähigkeit des Sehens erlangen. Einen Schritt weiter – und mit noch mehr Komplexität behaftet – ist das Verstehen von Sprache. Mit sogenannten Large Language Models (LLMs), die vor wenigen Jahren entwickelt wurden, konnte indes auch diese Hürde überwunden werden. Die dazugehörigen Algorithmen nutzen nicht nur Informationen über das Vorliegen von Buchstabenketten, so wie etwa Bilderkennungsalgorithmen Informationen über Farbpixel verarbeiten. Spracherkennungsalgorithmen wissen über die Rolle eines Wortes in einem ganzen Satz Bescheid. So können sie nicht nur Buchstaben zu Wörtern formen, sondern den Sinn von Wörtern in einem ganzen Satz „verstehen“. Heute nutzen täglich gut 10 Millionen Menschen ChatGPT, das auf einem solchen LLM beruht. ChatGPT ist dabei weit mehr als die Suchmaschine wie etwa Google. ChatGPT ist ein Algorithmus, der anhand einer riesigen Menge an Texten gelernt hat, wie Buchstaben zu Wörtern und Wörter zu Sätzen gebildet werden. Und er kann mit diesem Wissen Sprache generieren: Fragt man den Chatbot etwas, dann gibt er Antworten. Freilich, diese Antworten sind letztlich Neukombinationen aus den Wörtern der Texte, mit dem die Programmierer ChatGPT trainiert haben. Weil dieser Korpus aber enorm groß und der Algorithmus äußerst komplex ist, kann ChatGPT auf nahezu alle Fragen Antworten geben. Ob diese immer stimmen? Wir kommen darauf zurück. Von Interesse ist zunächst, dass ChatGPT (oder ein anderes LLM) natürlich auch auf religiöse Fragen eine Antwort geben kann. Es könnte die sonntägliche Predigt für den Gottesdienst erstellen – oder gleich den ganzen Gottesdienst halten. Welche Formen nimmt religiöse KI an und hat das alles seine Berechtigung? Wir werden es im zweiten Teil dieser Artikelserie sehen.