Warum wird ein Mensch ein Agent
Der Berliner Filmemacher Jürgen Ast im Foolstheater. Foto: Petra Kurbjuhn
Film und Diskussion in Holzkirchen
Der gestrige 17. Juni war bewusst gewählt. Zum symbolträchtigen Tag zeigte der Berliner Filmemacher Jürgen Ast seinen Dokumentarfilm „Honeckers letzte Spione – Junior und der Schwan“ und stellte sich den vielen interessierten Fragen aus dem Publikum im Foolstheater.
Dazu hatte er sich Verstärkung mitgebracht. Der Berliner Historiker Burghard Ciesla ist Spezialist für den 17. Juni und schreibt gerade sein zweites Buch zum Thema. Beide DDR-Experten diskutierten mit den Zuschauern über Fragen zu den Themen des Films und über diesen hinaus.
Der Film erzählt in ruhigen Bildern die Geschichte dreier „Kundschafter für den Frieden“ in den USA, wie DDR-Spione euphemistisch genannt wurden. In diesem Ausdruck ist bereits ein Teil der Lösung enthalten, denn alle drei Amerikaner waren romantische Sozialisten, die von Jugend an in der linken Szene aus tiefster Überzeugung tätig waren.
Eine griechische Tragödie
Im Mittelpunkt des Filmes steht die Famile Stand. Jürgen Ast nennt es eine griechische Tragödie, und in der Tat, hier spielen eine Vielzahl menschlicher Verstrickungen hinein. Erst während der Recherche- und Dreharbeiten, die insgesamt 16 Jahre dauern sollten, war zutage getreten, dass die Eltern Hannelore und Mille Stand bereits für den DDR-Geheimdienst, die Stasi, gearbeitet hatten, aber nie enttarnt wurden. Sie waren als Kommunisten schon 1933 aus Deutschland geflohen und hatten ihren Sohn Kurt bei Besuchen in der DDR mit Mitarbeitern der Stasi zusammengebracht. Und so spielt auch die Frage nach Schuld, Vergebung und Verantwortung eine wichtige Rolle, die der Zuschauer aus den Gesprächen mit den Eltern herauslesen kann. Berührend die Szene, wo sie mit ihrem inhaftierten Sohn telefonieren.
Kurt Stand ist der traurige Held des Films, ein gebrochener Mann, der akribisch genau mit Klebestreifen am Boden die Maße seiner Gefängniszelle demonstriert, in der er nach seiner Verurteilung im Jahre 1997 18 Jahre saß. Seine Eltern erlebten seine Rückkehr in die Freiheit nicht mehr. Und auch heute noch ist Kurt Stand von der Richtigkeit der Revolution, die ihre Söhne opfert, überzeugt. Wichtige Informationen indes lieferte er der Stasi nicht.
Liebesbeziehung als Motiv
Seine Frau Teresa, der Schwan, war weniger die überzeugte Linke, als vielmehr eine psychologisch angeschlagene Frau, die sich über die Spionagetätigkeit ihr Selbstbewusstsein stärkte. Sie war die einzige, die nach dem Fall der Mauer, als die Arbeitgeber plötzlich nicht mehr existierten und stattdessen Akten vernichteten, weiter machen wollte und sich dem südafrikanischen Geheimdienst anbot. Nur war der Verbindungsmann einer vom FBI.
Bei ihr spielte die persönliche Liebesbeziehung eine wichtige Rolle, denn sie hatte eine Affäre mit dem Führungsoffizier der Stasi. Auch dieser Lothar Ziemer ist nach wie vor davon überzeugt, dass sie eine wichtige Arbeit geleistet haben. Einen Beitrag, den Krieg zwischen den Großmächten zu verhindern, so drückt es der Dritte im Bunde aus. James Clark hatte die wichtigsten Informationen nach Ostberlin geliefert, aber mit 12 Jahren die kürzeste Haftstrafe bekommen, da er sich auf einen deal mit der Staatsanwaltschaft einließ.
Ich lasse die Menschen ausreden
Was den Film von Jürgen Ast so sehenswert macht, ist nicht nur die brisante Agentenstory, die bislang kaum bekannte Spionagetätigkeit in den USA, sondern insbesondere die Tiefgründigkeit, mit der die Motive und Verstrickungen der Menschen gezeigt werden. „Ich lasse die Menschen ausreden“, sagt dazu Jürgen Ast. Etwa 150 Stunden Interviews habe er aufgenommen, unter ihnen auch die berührenden Gespräche mit der Folksonglegende Pete Seeger, der mit seinen 94 Jahren nicht nur noch einmal zum Banjo greift und „Where have all the flowers gone“ mit brüchiger Stimme singt, sondern auch Holz hackt an seinem Rückzugsort.
So kommt die Frage „Warum wird ein Mensch ein Agent?“ nicht mit einer Antwort aus. Alle drei wollten etwas Gutes tun, etwas für den Frieden, aus ihrer tiefsten Überzeugung heraus, aber auch ganz andere Motive, wie Beziehung oder Geld oder Erpressung können eine Rolle spielen, wie die lebhafte Diskussion zeigte. In jedem Fall aber bleibt wohl richtig, was Jürgen Ast abschließend sagte: „Sie werfen ihr Leben weg.“