
Kleiner Scherz am Rande des Wahnsinns
Ein kongeniales Bühnen(ehe)paar: Florian Reinthaler und Gitti Knott bei der Premiere von „Schlüsselfertig“. Foto: Ursel Gloor
Theaterpremiere in Schliersee
Die neueste Produktion des Schlierseer Bauerntheaters versprach schon vorab ein „ganz anderes Stück“ zu sein, als man es sonst zu sehen kriegt. „Schlüsselfertig“, ein Theaterstück von Reinhold Seibold, ist keine klassische Mundart-Komödie, sondern eine Realsatire in drei Akten. Und das Wagnis am Ostersonntag ging auf: Die Premiere war ein voller Erfolg.
Es ist die Zeit, da die eigenen Kinder, die mittlerweile selbst schon Kinder haben, aus dem Haus sind, der mühselige Arbeitsalltag hinter einem liegt und man sich den Lebensabend so angenehm wie möglich machen will. Kurz, es ist die Zeit, in der die längst fällige Renovierung des eigenen Hauses nicht länger aufgeschoben werden kann. Und wenn einem just in dieser Zeit das verlockende Angebot gemacht wird (das einen eigentlich stutzig machen sollte), das Haus binnen acht Wochen „schlüsselfertig“ umzubauen, wer könnte einem solchen Angebot schon widerstehen…?
Peter Funk (Florian Reinthaler) mit seiner Frau „Stupsi“ (Gitti Knott) beim Dinner zuhause. Foto: Ursel Gloor
Aller lustigen Dinge sind drei
Das Stück beginnt mit einem formalen Gag: In der ersten Szene, in der sich Peter Funk (Florian Reinthaler) mit seiner Ehefrau „Stupsi“ (Gitti Knott) zum romantischen Chianti-Dinner in den eigenen vier Wänden einfindet, wird die traute und zunehmend erotisch aufgeladene Zweisamkeit unerwartet gestört. Und das gleich drei Mal hintereinander: Das Dinner-Debakel steigert sich nämlich, über drei Durchläufe hinweg, jedes Mal bis zur Kurz-vor-Kuss-Klimax mit Stupsi als „heißblütiger Italienerin“ auf dem Schoß ihres Mannes – ein empfindlich intimer Moment, in den dann zuerst die wehleidige Schwiegermutter (Anneliese Reinthaler) und, im zweiten Durchlauf, Tochter Lena (Johanna Winkler) hineinplatzt. Letztere mit weinendem Baby im Gepäck.
Die Schwiegermutter (Anneliese Reinthaler) torpediert das romantische Dinner. Foto: Ursel Gloor
Beim dritten Szenenanlauf wird das eheliche Italo-Techtelmechtel schließlich von dem schmeichlerisch aufdringlichen, gleichsam zwielichtigen Versicherungsvertreter und selbsterklärten Bauunternehmer Herr Scherz (Marcel Schmid) vereitelt, der den weiteren Verlauf der Geschichte zu Ungunsten des Ehepaares bestimmen wird. Er ist es, der ihnen den Vorschlag macht, ihre frühzeitig ausgezahlte Lebensversicherung in eine angeblich nur achtwöchige Komplettrenovierung des Hauses zu stecken, die selbstverständlich unter seiner kompetenten Bauaufsicht vonstattengehen soll.
Schlüsselfertig? Herr Scherz (Marcel Schmid) verspricht dem Ehepaar das Blaue vom Himmel. Foto: Ursel Gloor
Die eitle Aneignung des geflügelten Wortes „Kleiner Scherz am Rande…“, mit dem Herr Scherz seine eigenen unzähligen Schenkelklopfer abzurunden pflegt, avanciert im Laufe der Aufführung zum wohl lustigsten Running Gag des Stücks. Dem überaus talentierten Schauspieler Marcel Schmid gebührt indes besondere Anerkennung, als er für die ursprünglich angedachte Besetzung dieser Rolle kurzfristig eingesprungen ist.
Dinner for two
Gleich zu Anfang des Stückes stellt sich demnach ein gewisser „Dinner for one“-Effekt ein, genau genommen ein „Dinner for two“-Effekt, bei dem man als Zuschauer im übertragenen Sinne damit rechnen muss, dass irgendjemand mehrmals über denselben Tigerteppich stolpert. Dass so etwas überhaupt witzig sein kann, verdankt sich bei dieser ersten Szene in „Schlüsselfertig“ allem voran dem kongenialen Spiel von Reinthaler und Knott, denen es gelingt, den dreimal identischen Szenenauftakt mit der gleichen Verve über die Bühne zu bringen.
Und es verdankt sich eben nicht zuletzt dem Publikum selbst, das bereitwillig das Spiel mitspielt. So lachte, spätestens bei der dritten Wiederholung der Szene, das Premierenpublikum schon lange vor der eigentlichen Pointe, im Grunde den ganzen Szenenanfang über in freudig gespannter Erwartung des nächsten Störenfrieds.
„Stupsi“ (Gitti Knott) tröstet Tochter Lena (Johanna Winkler). Foto: Ursel Gloor
Zuschauer als Komplizen
Auch später im Stück gibt es vergleichbare Strategien des Humors: Zum Beispiel am Anfang des zweiten Aktes, wo das Ehepaar Funk nach den vereinbarten acht Wochen aus dem Toskana-Urlaub wiederkommt und voller Vorfreude vor dem fertigrenoviert geglaubten Haus steht. Ein sehr schöner Regie-Einfall von Hans Schrädler, der sich auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, die Heimreise der Funks durch den Mittelgang des Theaters, an den Sitzreihen vorbei, zu inszenieren, und das Haus in dieser Szene nur über den zugezogenen Vorhang zu erzählen. Auch hier lacht das Publikum in Erwartung der nahenden Katastrophe, wenngleich es sie noch nicht zu Gesicht bekommt. Der Witz existiert, auch hier, schon in der Vorstellung der Zuschauer, lange bevor er auf der Bühne Gestalt annimmt.
Auch im echten Leben Handwerker: Zimmerer Anton Stögmeier (mittig), Zimmerermeister Martin Hirtreiter (r.i.B.) und Heizungsbauer Julius Schliersmair (l.i.B.). Foto: Ursel Gloor
Derartige dramaturgische Verfahren, die sich durch das ganze Stück ziehen, machen die Zuschauer in gewisser Weise zu Komplizen der Schauspieler. „Schlüsselfertig“ setzt kontinuierlich auf jene geistige Mitarbeit und Fantasie, die vonnöten ist, damit die besagte Sorte Witz überhaupt funktioniert. Das Wagnis des Bauerntheater-Ensembles und das Experiment des Regisseurs Hans Schrädler besteht also bei dieser Produktion darin, dem oberbayrischen Publikum etwas zuzutrauen.
Lesetipp: Schlierseer Bauerntheater als Vorreiter
Der Stückautor Reinhold Seibold, dem eine „wohldosierte Einbeziehung des Publikums“ (Mundart-Verlag) ein erklärtes Anliegen ist, hätte zweifelsohne seine Freude gehabt an diesem Ostersonntag im ausverkauften Schlierseer Bauerntheater.
Die Schlierachtaler Musikanten. Foto: Michael Veit
Schlüsselfertig?
Nun, man ahnt es ja bereits: Es geht natürlich schief, was nur schief gehen kann. Scherzens sogenannte „Top-Leute“ stellen sich zum größten Teil als Banausen heraus. Der Maler Sepp (Anton Stögmeier), der Heizungsbauer Karl (Martin Hirtreiter) und sein Gehilfe Smirko (Julius Schliersmair) verwandeln die Baustelle – in Herrn Scherz‘ permanenter Abwesenheit, die Methode hat – zusehends in eine komplette Bauruine. Was man ihnen aber nicht verübeln kann, weil sie dies mit so viel Schelmerei und Spitzbüberei tun, dass man wie bei Max und Moritz eher auf ihrer Seite steht als auf der Seite der Leidtragenden. Und sicher auch, weil die Durchtriebenheit des Betrügers Scherz, der seine Angestellten nicht bezahlt und selbst das ganze Geld einheimst, sie wie Lämmer neben einem Wolf aussehen lässt.
Heizungsbauer Karl (Martin Hirtreiter) schnauzt seinen Lehrling Smirko (Julius Schliersmair) an. Foto: Ursel Gloor
Einzig die gesellschaftskritischen Aspekte von Seibolds Stück, welche durchaus „amüsant verpackt“ (Mundart-Verlag) werden, insbesondere der mal latenten, mal offen ausgetragenen Ausländerfeindlichkeit von Heizungsbauer Karl gegenüber seinem ungarischen Gehilfen Smirko, sowie jener von Stupsis Mutter gegenüber „Ausländern“ im Allgemeinen, hätte man vielleicht etwas klarer als solche, das heißt als Gesellschaftskritik, herausarbeiten müssen, und nicht nur darauf vertrauen dürfen, dass sich die fremdenfeindlichen Aussagen nachträglich über den versöhnlichen Schluss des Stücks wie von selbst wieder aufheben. Mindestens, um Missverständnisse zu vermeiden, die Satire ja nicht selten mit sich bringt.
O du fröhliche
Ein Haus renoviert sich leider nicht von allein. Und als die ohnehin nicht gerade arbeitswütigen Handwerker irgendwann vollends das Handtuch werfen, bleibt dem mit „zwei linken Händen“ ausgestatteten Hausherrn Funk nichts anderes übrig, als zum Erstaunen aller sich links- und eigenhändig dem Bauprojekt anzunehmen. Ob das gut geht? Das sei hier nicht verraten.
Nur so viel vorweg: Je näher das ersehnte Weihnachtsfest rückt, das Familie Funk sich im renovierten Heim ausgemalt hat, desto mehr verliert die arme Stupsi die Nerven; die Figur im Stück, die bis dahin das Ruder in der Hand hatte, und faulen Handwerkern, fadenscheinigen Bauleitern und frechen Ehemännern unverblümt Ansagen machte. Ihr Mann aber behält seinen Humor, man könnte auch sagen: er erringt ihn sich erst auf dem untergehenden Schiff, und bleibt bis zuletzt noch zum ein oder anderen Scherz am Rande des Wahnsinns aufgelegt.
Die acht großartigen Darsteller in „Schlüsselfertig“ mit Regisseur Hans Schrädler (mittig) bei der Verbeugung. Rechts neben ihm Antonia Fürst, die „gute Seele hinter der Bühne“. Nicht im Bild: Dieter Gawer und Simon Pertl an der Technik. Foto: Ursel Gloor