Schlaraffia – die herrlichste Nebensache der Welt

Die Oberschlaraffen in Rüstung und Amt und Würde: Ritter Strychnin (v. li.), Ritter C-fix und Ritter Krawattohne. Wer das Wappentier, den Uhu, trägt, hat das Wort und immer Recht. Foto: Anja Gild

Schlaraffen auf dem Hahnhof

In Miesbach gibt es ein „Reych“ – das Schlaraffen-Reych. Es ist eine Gruppe von Männern, die humor- und kunstvoll Kunst und Humor feiern. Die mit ihrem „schlaraffischen Spiel“ eintauchen in eine Welt, die für einige Stunden die Sorgen des Alltags vergessen lassen. Wie das geht, haben sie im HahnHof in der Reihe „Wissen und Klang“ gezeigt.

Sie wirkten in ihren „Rüstungen“, mit ihren Orden, ihren Holzschwertern ein wenig aus der Zeit gefallen. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick zeigt sich ein tiefes Verständnis, weshalb sich eine Gruppe von Männern (weltweit 10.000) in sogenannten „Reychen“ zusammenfinden und ein Hohelied auf die Kunst, die Freundschaft und den Humor singen. Von Herbst bis Frühling tauchen sie ab – hinein in eine andere Welt. In ihre „Burg“. In die Welt von Schlaraffia.

Das schlaraffische Spiel wider die Krisen der Welt

Schlaraffen – sie haben eine eigene, dem Mittelhochdeutschen entlehnte Sprache und eigene Gesetze („Spiegel“). Am 05. September haben die Miesbacher Schlaraffen – ihr „Reych“ heißt „Am Hohenwaldeck“ – im HahnHof in Großhartpennig, den Vorhang gelüftet und gezeigt, was das „schlaraffische Spiel“ bedeutet: Für ein paar Stunden den Alltag im wahrsten Sinne des Wortes abstreifen, nicht über Politik, Religion und Berufsalltag sprechen, sondern sich ganz und gar der wohltuenden Wirkung von Kunst, Freundschaft und Humor hingeben. Das sind die drei schlaraffischen Säulen. Es geht um ein paar Stunden „Leichtigkeit des Seins“ – Balsam für die Seele. Eine Liebeserklärung ans Lachen, ans Miteinander. Es tut merklich gut, Krisen, Sorgen und Konflikte für einige Zeit beiseiteschieben zu dürfen.

Auch interessant: „Ohne Kultur sind wir komplett verloren“

Schlaraffia – aus der Zeit gefallen? Nein, im Gegenteil, eine kleine Pause inmitten einer krisengebeutelten Welt. Sehr Jetzt-Zeitig. Sehr hilfreich. Und übrigens haben die Schlaraffen „Am Hohenwaldeck“ einen sehr prominenten ehemaligen Mit-Schlaraffen: Volksschauspieler Ludwig Schmid-Wildy, genannt „Ritter Schlawutzi“.

Schlaraffe aus Überzeugung

Robert Manzer, Verzeihung, „Ritter Strychnin“, ist seit 42 ein Schlaraffe. Mit Begeisterung. Er zeigt es auch außerhalb von Schlaraffia, indem er eine kleine weiße Perle, die „Rolandsnadel“, im Revers trägt. Er ist Oberschlaraffe. Sein Großvater, der Karlsbader Generalmusikdirektor Robert Manzer, war auch Schlaraffe.


Schon sein Großvater war Schlaraffe in Karlsbad. Der Miesbacher Apotheker Robert Manzer ist seit 42 Jahren dabei. Foto: Anja Gild

Manzer darf den Thron besteigen und, mit einer Uhu-Kette geschmückt, die Regularien der Zusammenkunft, der sogenannten „Sippung“ durchführen. Die Schlaraffen tauchen in ein Spiel ein, in eine innere, geistige Haltung, die ihnen für einen Abend die Kreativität und den Humor schelmisch entlockt. Der Uhu ist das verehrte Wappentier der Schlaraffen weltweit.


Jeder Schlaraffe hat sein individuelles Wappen und einen humorigen Namen. Der Uhu, das Wappentier der Schlaraffen, ist immer mit dabei. Foto: Anja Gild

Jeder Schlaraffe darf sich selbst einen humorvollen Ritternamen geben, den es im ganzen „Uhuversum“ (also weltweit) nur einmal geben darf. Robert Manzer war Apotheker in Miesbach. Deshalb auch „Ritter Strychnin“. Ein Arzt heißt „Ritter Coca-in“. Ein Schreiner, der Krawatten ablehnt, nennt sich „Ritter Krawattohne“, ein „zugroasta“ Oberschlaraffe nennt sich „Ritter C-fix, der B(e)ytebayer“ und weil er beim Geigenspiel immer so über die Saiten „kratzt“, nennt sich der Kantzelar „Ritter Kratzivari“ alias Siegfried Rummel. Hauptsache komisch. Selbstironie ist höchst willkommen!

Schlaraffia – eine gesellschaftliche Revolte

Schlaraffia ist ein Männerbund. Keine Loge, kein Stammtisch, kein Freimaurertum. Sie verstehen sich als Freidenker. Weltweit sprechen Schlaraffen deutsch, auch in Südamerika oder Australien. Aktuell gibt es 261 Vereine weltweit. Die Schlaraffen haben Talente. Als Musiker, Dichter, Maler, Handwerker.


Symbolisch kreuzen die Ritter ihre Schwerter wie ein Spalier. Hier müssen die Ritter aus anderen Reychen durchschreiten. In der Schlaraffensprache heißt das „Einritt“. Foto: Anja Gild

Der Ursprung der Schlaraffia war eine gesellschaftliche Revolte, ein revolutionärer Akt gegen den Standesdünkel einer hierarchisch organisierten Gesellschaft. Es war eine Protestnote von Franz Thomé, dem damaligen Direktor des deutschen Theaters in Prag. Er wollte einen jungen, mittellosen Bassisten in die Prager Künstlervereinigung „Arcadia“ aufnehmen und stieß auf Widerstand. So ein „Proletarier“ solle zur Elite? Thomé gründete aus Protest einen „Proletarier-Club“. Nicht ohne Wirkung. Die Prager Künstlerelite war wütend. Der Theaterdirektor machte sich und seine neue Vereinigung unangreifbar, indem er auf das Mittelalter, auf die Zeit der Ritter, zurückgriff.


Es sind die verborgenen Talente, die das Schlaraffen-Dasein so bereichern. Ob Musik, Dichtkunst. Hier sind die Bläser am Werk. Foto: Anja Gild

Damit legte er den Grundstock für „Schlaraffia“ (mittelhochdeutsch „slur affe“, heißt „sorgloser Genießer“) und das „Schlaraffische Spiel“. Die Mitglieder machten sich lustig über den abgehobenen und titelsüchtigen Adel sowie das Beamtentum. Eine mutige gesellschaftliche Revolte. Auch heute dürfen alle dabei sein, Ärzte, Schreiner, Glaser, Optiker, Apotheker. Ausbildung, Herkunft und Alter sind egal. Hauptsache der gesellige Mensch bringt Sinn für Kunst und Humor mit in das „Reych“.

Zitat:
Wann haben wir noch Zeit, völlig abzuschalten? Wo bleibt der Raum für die persönliche Entfaltung und für die Kunstsinnigkeit? Unsere Zeit ist geprägt von Krisen und der Spaltung der Gesellschaft. Schlaraffia bedeutet das Gegenteil, Gemeinschaft und Toleranz.“ (Robert Manzer)

Von Rittern und Anwärtern


Die weiten, wallenden Mäntel sind ihre „Rüstung“. Dazu ein „Helm“ und viele Orden. Nur wer den Helm trägt ist auch sichtbarer Schlaraffe. Andernfalls ist er nicht sichtbar und wird auch nicht gehört. Foto: Anja Gild

Das Publikum im HahnHof bekommt eine Zusammenkunft, eine „Sippung“, vorgeführt. Um den Geist hinter Schlaraffia zu verstehen. Robert Manzer und alle anderen Ritter ziehen ihre „Rüstungen“ an, einen weitfallenden Mantel in weiß-grün-blau, dazu einen „Helm“, alles mit Orden geschmückt. Jedes Reych hat seine eigenen Farben. Die Ritter dürfen sich mit Holzschwertern rüsten. Die Ehefrauen sind ausnahmsweise als Zuschauerinnen auch dabei. Und dann gibt es noch die Anwärter auf Schlaraffia, die „Pilger“. Peter Strasser aus Gmund, Glasermeister, Sänger, Akkordeonist, Trompeter, ist einer davon. Er wird bald Prüfling, Knappe, Junker und schließlich zum Ritter geschlagen. Ein höchst feierlicher Akt.


Glasermeister Peter Strasser aus Gmund muss sich erst bewähren. Noch ist er „Pilger“. Aufgenommen werden nur Männer, die von Rittern empfohlen werden. Die Schlaraffen suchen Nachwuchs! Foto: Anja Gild

„Schlaraffen! Rüstet Euch!“

Jetzt aber heißt es: „Schlaraffen rüstet Euch!“ und „Das Reych erhebe sich!“ Die Sippung beginnt und wird mit einem Gong, dem Tamtam, eingeläutet. Wer den Uhu an einer Kette um den Hals trägt, hat natürlich immer Recht, nur der Hofnarr darf unterbrechen. Ist sein Beitrag („Fechsung“) besonders gelungen, gibt es ein dreifaches „Lulu!“, ein „Brandlethe“ (Schnaps) und eine „Kugel“ (Praline). Für Essen und Trinken („Atzung und Labung“) ist stets und großzügig gesorgt.


Bernd Stahuber, Ritter „Tour Fix“ ist einer der „Zinkenmeister“, die das „Clavicimbel“ (Klavier) bedient. Foto: Anja Gild

Sind alle Regularien vorbei, geht es zur nicht-amtlichen Sippung, zum zweiten Teil. Und da entfaltet sich die gesamte Kunstsinnigkeit der Schlaraffen. Bewegende Gedichte, musikalische Darbietungen, humorvolle Einwürfe – die Schlaraffen sind ganz und gar in ihrem Element. Und ziehen den HahnHof in ihren Bann – weit weg von der Welt, die da draußen ist.


Ein ganzes Buch voller wunderbarer Malereien, die das Schlaraffen-Jahr dokumentieren. Besonders gelungene Wortbeiträge sind in einem anderen Buch, dem „Goldenen Buch“, für die Ewigkeit niedergeschrieben. Foto: Anja Gild

Jetzt kommt auch Ritter Tour-Fix mit seinem Musikbeitrag ins Spiel, darf ans Klavier und in die Tasten, die „Zinken“ greifen. Ritter Tour-Fix, alias Bernd Stahuber, ist schon seit zwölf Jahren dabei. Er könnte Oberschlaraffe werden, hat aber keinen Bedarf, weil er meist am Klavier die Schlaraffenlieder begleiten muss. Nebenbei dokumentiert er mit Aquarellfarben Schlaraffen-Events. Er ist eben auch künstlerisch begabt.

„Wir sind als Kinder mit den Werten der Schlaraffen groß geworden“

Die innere Haltung der Schlaraffen wirkt bis in deren Familien hinein. Zwar dürfen die Ehefrauen, die „Burgfrauen“, normalerweise nur bei der Neujahrs-Sippung dabei sein, aber die Familien bekommen den Geist der Schlaraffen-Ehemänner und -Väter zu spüren. „Heute verstehen die wenigsten den Zauber dieser Gemeinschaft“, sagt Burgmaid Brigitte Schnabl, Tochter eines Ritters. Dabei schätzt sie diesen schlaraffischen Geist. „Auch profitieren wir sehr auf unseren Reisen davon. Überall gibt es Schlaraffen. Wir sind dort weltweit herzlich aufgenommen.“ Und es seien auch so viele Freundschaften auch unter den Familien und den Kindern der Schlaraffen entstanden.

Zum Weiterlesen: „Wertschätzendes Zuhören kann man lernen“

Ritter Muse Marte, Ehren-Schlaraffe in vielen Reychen, fasst die Liebe der Männer zu ihrem Freundschaftsbund in ganz eigene Worte. Frei nach Hans Moser singt er: „Ich muss im früheren Leben ein Uhu gewesen sein.“ Es erschallt ein dreifaches „Lulu!“

Gefällt Ihnen dieser Beitrag? Bitte besuchen Sie uns auf