Mutter Sprache

Monika Manz und Gerd Lohmeyer in „Mutter Sprache“

Gerd Lohmeyer und Monika Manz im Foolstheater. Foto: Petra Kurbjuhn

Theater in Holzkirchen

Auf der kargen Bühne des Foolstheaters ein Bett, darin ein Mensch, unbeweglich, geschlossene Augen, Infusionslösung. Dann kommt eine Frau und spricht. Über ihr Leben und das der im Koma liegenden Mutter. Seit acht Jahren. Keine Dramatik. Nur Annahme des Schicksals.

Im vergangenen Jahr hatte das Stück „Mutter Sprache“ von Werner Fritsch in München seine Uraufführung. Kulturmanagerin Ingrid Huber holte die Inszenierung von Gerd Lohmeyer, der nahezu zwei Stunden unbeweglich im Bett als Mutter liegt, nach Holzkirchen.

Monika Manz spielt nicht, sondern ist die Tochter Magda, übrig geblieben von einer großen Familie. Die meisten liegen auf dem Friedhof, ihr Mann, der Zwillingsbruder, die Tochter und der Vater. „Wie hat er mich genannt?“ fragt sie immer wieder und kann sich bis zum Ende des Stückes nicht daran erinnern.

Abschalten kommt nicht in Frage

Sie ist jetzt auch schon fast siebzig Jahre alt und langsam rosten die Knochen ein, so dass sie ab und zu ein paar ungelenke gymnastische Übungen machen muss. Aber mit großer Hingabe pflegt sie die Mutter. Abschalten der Geräte, das kommt überhaupt nicht in Frage. Sie wäscht behutsam die Gliedmaßen und cremt sie ein.

Mutter Sprache Ein paar gymnastische Übungen: Monika Manz. Foto: Petra Kurbjuhn

Und dabei spricht sie, fragt immer wieder, weil sie sicher ist, dass die Mutter sie hört. „Sag doch ein Wort“, bittet sie. Neun Kinder hat die Mutter großgezogen, zwei sind bei der Geburt gestorben, also 11 Schwangerschaften hat sie durchstehen müssen, früher waren die Männer halt so.

Leben voller Schicksalsschläge

Monika Manz erzählt das schwere Leben voller Schicksalsschläge, voller Armut und Entbehrungen so, als müsse es so sein. Da ist kein Wort der Klage oder der Dramatisierung. Nein, es war ganz normal, dass man als Kind Sauerkraut stampfen musste und früh um vier zum Brotbacken aufstand.

Mutter Sprache
Monika Manz erzählt. Foto: Petra Kurbjuhn

Und zwischendrin gab es auch heitere Momente, wenn die Lisa Schifferklavier spielte. Und Monika Manz singt: „Wenn auf Capri die rote Sonne im Meer versinkt…“ Aber dann hatte die Gretel MS und die Hertha, die die Mutter aufopferungsvoll pflegte, ist nun auch tot, ebenso wie die Martha, die meisten Geschwister sind schon tot.

Hoffnungslosigkeit und Hoffnung

Und jetzt ist also die Magda an der Reihe, sich um die Mutter zu kümmern. Tag für Tag versieht sie ihren Dienst. Wer als Zuschauer einen roten Faden, eine Dramaturgie der Handlung erwartet, der wird enttäuscht. Aber er wird beschenkt mit einer Erfahrung, die jeder kennt, der schon einmal komatöse Angehörige zu pflegen hatte. Die Erfahrung nämlich der Hoffnungslosigkeit und Hoffnung gleichermaßen. Die Erfahrung, dass die Zeit am Bett des Kranken irgendwie verbracht werden muss. Und dass man hofft, gehört zu werden, wenn man einfach nur zusammenhanglos spricht.

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Gerd Lohmeyer ist zwei Stunden bewegungslos. Foto: Petra Kurbjuhn

Hier geht es nur noch darum das Schicksal anzunehmen und nicht zu verzweifeln. Das gelingt durch Sprechen. Und so kommen alle verschütteten Erinnerungen zutage. Wie der Bruder aus Liebeskummer ins Wasser ging, wie die Schwiegereltern erschossen wurden, die Tochter starb.

Aber es gab auch positive Momente. Wie der Vater zur rechten Zeit, damit es die Amis sehen konnten, die weiße Fahne heraushängte.

Für Magda ist ihre Gottergebenheit ein wichtiges Mittel um durchzuhalten. Ihre Gebete, die von Licht umgegebene Mutter Gottes geben ihr Kraft. Aber es kommt auch Zweifel auf: „Warum beten wir, gib ihnen die ewige Ruhe, das muss doch Leben heißen.“ Sie glaubt nämlich schon an ein anderes Leben da drüben.

Mutter Sprache Monika Manz und Autor Werner Fritsch. Foto: Petra Kurbjuhn

„Mutter Sprache“ ist ein berührendes Stück, dessen Botschaft sich erst auf den zweiten Blick erschließt, dann aber mit großer Wucht. Das Künstlerehepaar Monika Manz und Gerd Lohmeyer geben der Inszenierung Authentizität, Schlichtheit und Kraft. Monika Manz durch ihre schauspielerische Präsenz, Gerd Lohmeyer symbolisiert die Annahme, das Nichtaufbegehren, sondern das Sichdamitabfinden. Nein, die Geräte werden nicht abgeschaltet.

Mutter Sprache Beim Schlussapplaus Gerd Lohmeyer und Monika Manz. Foto: Petra Kurbjuhn

Und wie hat der Vater sie genannt? Das erfährt der Zuschauer am Ende des Stückes.

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