Das Bürgermeisteramt ist ein Beruf ohne Feierabend, von dem Ingrid Pongratz sagt, er sei ihre „schönste, größte und interessanteste Herausforderung“.

Wie es dazu kam, erfahre ich in ihrem holzgetäfelten Amtszimmer im Rathaus, mitten in Miesbach, mit Blick auf die große Sundheimer-Baustelle, auf den Bahnhof und in die Altstadt. Damit ist schon viel gesagt. Lauter Sorgenkinder, die sie permanent im Auge behalten muss. Ihr Terminkalender ist prallvoll, „keine freien Abende mehr in den nächsten fünf Wochen“, sagt sie bedauernd zu einem Anrufer, der sie zu einer Veranstaltung einladen will.

Schon in ihrer Jugend interessierte sich Ingrid Pongratz für Politik, aber durch Studium und Familiengründung geriet dieses Engagement zunächst in den Hintergrund. Für die selbständige Maschinenbauingenieurin, die zusammen mit ihrem Mann eine Kfz-Prüfstelle betrieb, war es schwierig, Familie, Beruf und öffentliches Engagement miteinander zu vereinbaren. Der CSU-Ortsverband Miesbach konnte sie dennoch überreden, für den Stadtrat zu kandidieren. Im Jahre 1996 wurde sie auf Anhieb in das Gremium gewählt, 2002 sogar als Stimmenkönigin wiedergewählt.

Als nach dem überraschenden Tod des Amtsinhabers Dr. Gerhard Maier im April 2003 für Miesbach ein neuer Bürgermeister gesucht wurde, warf Ingrid Pongratz, nach eingehender Abwägung aller Gesichtspunkte, mutig ihren Hut in den Ring. „Frau, evangelisch, getrennt lebend“ – keine günstige Ausgangslage für das Bürgermeisteramt in einer konservativ geprägten oberbayerischen Kleinstadt. Aber Ingrid Pongratz bewies in einem höchst spannenden Wahlkampf gegen den als Interimsbürgermeister fungierenden SPD-Kandidaten unglaubliches Standvermögen und wurde bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewählt.
Viel Zeit blieb ihr nicht, sich in Ruhe auf die neue Aufgabe vorzubereiten, denn die Amtsgeschäfte riefen. Die Vorbehalte gegenüber einer Frau in diesem Amt blieben nicht aus. „Kann die das überhaupt?“ war eine der meist gestellten Fragen. Aber sie ließ sich nicht unterkriegen, galt es doch, ein Exempel zu statuieren.

So erlebte Ingrid Pongratz mit 47 Jahren über Nacht einen kompletten Spurwechsel, der von Anfang an bindend war, denn die Wahl zum Bürgermeister erfolgt auf sechs Jahre. Im Handumdrehen dehnte sich ihr Verantwortungsbereich auf ein großes Stadtgebiet mit 12.000 Einwohnern aus.

„Angst habe ich keine empfunden, denn ich habe immer nach Herausforderungen gesucht. Ich finde jeden Tag im Amt spannend und möchte für alle Probleme immer gute Lösungen finden.“

Die Bürgermeisterin, die im Jahr 2008 auch als Stimmenkönigin in den Kreistag gewählt wurde, empfindet sich als Schwungrad in einem Getriebe, das nur funktioniert, wenn sich andere Räder mitdrehen. Dieses Schwungrad glaubt man ihr gern. Meist hört man es schon an ihrem energischen Schritt, wenn sie zu neuen Taten schreitet. Kein Tag gleicht dem anderen. Sorgen um die Wasserversorgung, das Straßennetz, die Finanzen. Vorsitz in Stadtrats-, Bauausschuss-, Finanz-, Kultur- und Schulverbandssitzungen. Ehrungen, Empfänge, Gratulationen, Grußworte. Der Alltag eines Kommunalpolitikers ist vielfältig, zehrt aber auch an den Kräften, lässt nur wenig Privatleben und selten einen Feierabend zu.

Ob sie für ihren Spurwechsel Mentoren hatte?
„Nein, ich wurde ins eiskalte Wasser geworfen und habe ausdauernd schwimmen müssen.“ Heute wirkt sie absolut zielorientiert, politisches Taktieren ist ihr fremd, lieber packt sie beherzt an, wo es nötig ist, um ihrer Heimatstadt bestmöglich zu dienen.

„Mein Spurwechsel war abrupt, ich habe dennoch die richtige Weiche erwischt und bin in eine positive Zukunft gefahren.“

Wenn es ihre Zeit zulasse, sei sie gerne bereit, jungen Leuten unter die Arme zu greifen, die sich politisch engagieren möchten. Wer weiß, vielleicht ist eines Tages auch ein/e Nachfolger/in für das Bürgermeisteramt darunter? Allerdings ist sie fest entschlossen, für die nächste Wahlperiode wieder zu kandidieren.

Isabella Krobisch
Publiziert 10. April 2013