
Selbstverzwergung und Zurückholen der Zukunft
Knut Cordsen mit seinem Buch „Stand Jetzt“. Foto: MZ
Lesung in Gmund
Eine geistreiche, inspirierende und gleichzeitig humorvolle Lesung gestaltete Knut Cordsen im Hotel Blyb. gemeinsam mit Barbara Schäfer von der See-Buchhandlung Rottach-Egern. In seinem aktuellen Buch „Stand Jetzt“ zitiert er aus dem Wörterbuch seiner Mitmenschen und nimmt aktuelle Alltagssprache genüsslich auseinander.
Das Hotel Blyb. in Gmund stellt sich nicht nur seiner Vergangenheit, sondern will auch zunehmend Kultur in sein Programm aufnehmen, wie Betreiber Florian Zibert mitteilt.
Lesetipp: Einen Ort der Verführung und Begegnung schaffen
In Zusammenarbeit mit der See-Buchhandlung war jetzt zu einer Lesung in der Bar in Wohnzimmeratmosphäre Knut Cordsen gekommen, Barbara Schäfer stellte ihn als Literaturkritiker, Autor und Moderator von Radio-Kultursendungen, insbesondere bei Bayern 2 vor. Er falle durch seine geschliffene Sprache auf und betreibe intensiv Sprachforschung.
Er sei schon in der Schule literaturversessen gewesen und habe seine Mitschüler beispielsweise durch Beiträge in der Schülerzeitung zu einem rumänischen Lyriker überrascht, verriet der Gast. Später habe er gern die Hintergründe der literarischen Szene bearbeitet.

Barbara Schäfer stellt Knut Cordsen vor. Foto: MZ
Das soeben erschienene Buch „Stand Jetzt“ befasse sich mit dem Gebrauch der Alltagssprache von A wie Angebot machen bis Z wie Zurückholen.
Von den 22 Kapiteln des 140 Seiten umfassenden und fein gestalteten Buches las der Autor zwei und begann mit „Der Bestie und die Maus“. Die Lust der Selbstverzwergung sei ein Phänomen der Gegenwart, startete Knut Corden in seine brillante Lesung.
bestie und Bestie
Irgendwie werde überall das „ie“ angehängt. Man kenne ja schon lange Smarties und Brekkies, auch Hippies, Barbies und Zombies. Die ehemalige Kanzlerin sei zärtlich-plump Angie genannt worden. Und wenn ein chaotisch-unordentlicher Mensch als Messie bezeichnet würde, mache ihn das gleich nahbarer.
Ein Drinnie ist heute ein Stubenhocker und der Kumpel habe ausgedient, er sei heute der Homie. Schwierig allerdings werde es beim Bestie, dem besten Freund oder der besten Freundin, denn wie von dem Begriff der Bestie zu unterscheiden?

Bei der Lesung. Foto: MZ
Eine zweite in die Mode gekommene Selbst- und Fremdbezeichnung der Verkleinerung oder dem Wunsch nach Noch-nicht-Ernstgenommen werden fand Knut Cordsen mit dem Begriff der Maus. Es geistern Büromaus, Partymaus oder KI-Maus durch die sozialen Medien. Als Welpenschutz sieht der Autor dieses Phänomen. Und wenn sich gar ein Bundestagsabgeordneter als Bundestagsmaus bezeichnet, zeige das doch, dass er nicht in Erscheinung treten und keine Verantwortung übernehmen möchte. Allen Lesemäusen empfiehlt der Autor am Ende Kafkas letzte Erzählung „Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse“.
Im zweiten Kapitel, das Knut Cordsen seinen Zuhörenden schenkte, widmete er sich dem Begriff „Zurückholen“. Begonnen habe die mit der Forderung „Wir holen uns die Nacht zurück“ von Frauen, die gegen Männergewalt demonstrierten, was auch heute noch bei der großen Zahl von Femiziden Bestand habe.
Wer hat sich Demokratie unter den Nagel gerissen?
Mittlerweile aber hole man sich die Demokratie zurück, etwa der demokratisch gewählte stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger, und es stelle sich die Frage, wer sich denn die Demokratie unter den Nagel gerissen habe.
Wer sich etwas zurückholen wolle, fühle sich beraubt und Verlust und Revanchegelüste gingen Hand in Hand. So habe ein AfD-Nationalist im Bierzelt gefordert: „Dann holen wir uns unser Land wieder zurück.“
Zeit und Zukunft zurückholen
Als ultimativen Satz des Zurückholens zitierte Knut Cordsen Voltaire, der (in deutscher Übersetzung) sagte: „Holen wir uns die verlorene Zeit zurück.“ Aber manchmal wolle man auch das Morgen zurückholen, so forderte die Grüne Jugend: „Holen wir uns die Zukunft zurück,“ was später die Volt-Partei als Werbeslogan für sich beansprucht habe.
Den Fans von „Zurück in die Zukunft“ habe dies sicher gefallen.

Buchtitel. Foto: MZ
Im Gespräch mit Barbara Schäfer verriet Knut Cordsen, dass der Titel des Buches „Stand Jetzt“ aus den Journalistenphrasen stamme, sehr gern benutzt und sehr pompös. Er richte sein Buch an alle, die eine variantenreiche, gepflegte Sprache lieben und wolle die Lust an Sprache wecken.
Als Zugabe und nur für die Zuhörenden in der Bar des Blyb. las Knut Cordsen noch zwei unveröffentlichte Texte.
Aushalten und verbesondern
Im ersten nahm er sich des Wortes „aushalten“ an, das sehr gern von Politikern benutzt wird, etwa von Friedrich Merz: „Ich halte das aus.“
Der Autor verwies in dem Zusammenhang auf Ungemach aushalten, wie es Camus in seinem Roman „Der Fall“ beschrieb, ein Verließ, in dem der Eingekerkerte weder stehen noch liegen konnte.
Auf einem Bierfilz einer Brauerei entdeckte Knut Cordsen den Begriff „verbesondern“, man solle gemeinsam auf besondere Biermomente anstoßen. Der Duden kenne dieses Verb nicht, sagte der Autor, es friste ein abgesondertes Dasein, aber bei Recherche habe er gefunden, dass es wohl schon Melanchthon benutzt habe.
In der Diskussion mit dem Publikum meinte Knut Cordsen, dass er für seine Betrachtungen zum einen persönliche Vorlieben nutze aber auch berücksichtige, was vielen anderen Menschen aufstoße, etwa den aus dem Amerikanischen kommenden Begriff „Unter den Bus werfen“.