Mein Interviewpartner ist pünktlich aber ein bisschen außer Atem. Ich wundere mich kurz, dann sind wir schon im Gespräch vertieft. Ich kenne Yakub Kartal, er war mein Schüler. Einer von denen, die auffallen. Er war interessiert und engagiert, bemerkenswert höflich, ohne um gute Noten zu buhlen. Auffallend war seine Sprache, gepflegtestes Hochdeutsch, keine Spur des bekannten türkischen Akzentes. Er erzählte mir schon im Ethikunterricht, dass seine Familie aus Anatolien stammt, er aber am Tegernsee geboren sei. Er sei Moslem, glaube an Gott, brauche aber dazu keine Religion, sei eher säkularisiert. Also Jugendlicher mit Migrationshintergrund, wie es politisch korrekt heißt, im Vorurteil damit auch Spur vorgegeben: Hauptschule, wenig Förderung von zu Hause.

Genauso war es bei Yakub. Der Vater absolvierte die Hotelfachschule in Tegernsee, wurde Kellner, die Mutter sei sehr konservativ, erzählt er mir jetzt, zwar auch Teilzeit berufstätig, aber schlecht deutsch sprechend, dafür sehr religiös, den Koran vertretend. Yakub besuchte die Hauptschule und anschließend den M-Zweig. Das sei nicht selbstverständlich gewesen, er habe sich gegen die Eltern durchsetzen müssen. Für diese stand fest, dass die Kinder eine Berufsausbildung durchlaufen, höhere Schulbildung stand nicht zur Debatte. Aber Yakub schaffte es nach der Schule in Rottach-Egern, die FOS in Holzkirchen besuchen zu dürfen. „Zwar sträubte sich der Vater anfangs, aber ich habe mein Ziel erreicht“, verkündet Yakub strahlend. Und er machte nicht nur die allgemeine Fachhochschulreife, sondern hängte noch die 13. Klasse in Bad Tölz an, um die allgemeine Hochschulreife für ein Universitätsstudium zu erlangen. Das brauchte er, denn er wollte Jura studieren. Und auch das schaffte der ehrgeizige junge Mann. Sein Notendurchschnitt war mit 2,3 ausreichend gut und so ist er jetzt in München eingeschrieben. Fährt jeden Tag an die Uni und ist froh über seinen Weg, auch wenn es anstrengend ist.

Ich frage mich woher der Ehrgeiz des jungen Mannes kommt. Er denkt kurz nach und gibt mehrere Antworten. Sein lupenreines Hochdeutsch habe er sich antrainiert, weil er nicht als Türke gelten wollte. Nicht anders sein, keine Vorurteile bedienen. Er spreche auch Englisch mit britischem Akzent, berichtet er stolz. Zweitens, wenn er an einem Thema interessiert sei, dann setze er alles daran, um mehr zu erfahren. „Wissen ist Macht“ zitiert er Bacon. Und ein drittes Argument zählt er auf. „Ich weiß wie es ist, wenn man nicht viel Geld hat.“ Er wolle, dass es seinen Kindern einmal besser gehe als ihm und seinen Geschwistern. Wenn die anderen Kinder zum Skilaufen gingen oder snowboardeten, musste er zu Hause bleiben. Er hätte gern ein Instrument lernen wollen, keine Chance. Von Markenkleidung ganz zu schweigen. In der achten und neunten Klasse sei er verspottet und ausgegrenzt worden. Nationalsozialistisches Gedankengut sei kursiert, er wurde provoziert. „Da hatte ich wohl unterbewusst die Motivation, denen zeige ich es“, sagt er. Und nach einer Weile: „Vielleicht hätte ich auch mehr mit ihnen reden müssen.“

Geholfen hat ihm in dieser Zeit die kulturelle Arbeit beim Cross-Over-Team von Karin Maichel. Er schrieb Drehbücher und Sketche, inszenierte Auftritte mit und vertrat auch mal die Leiterin, wenn es um Kontakte zu Sponsoren ging. Sein sicheres, höfliches Auftreten öffnete ihm so manche Tür.

Auf der FOS fühlte sich Yakub von Anfang an wohl und anerkannt. Und auch im Tegernseer Tal ist er jetzt integriert, seine Freunde stammen aus beiden Kulturkreisen, er macht da keinen Unterschied. Auch als die Rede auf eine Partnerin kommt, meint er, es sei ihm egal, woher sie käme. Allerdings sei es mit deutschen Mädchen einfacher als mit türkischen, weil da die Eltern und Geschwister immer im Hintergrund mitmischen.

Jetzt also ist Yakub auf der Überholspur und studiert Jura mit dem Ziel Richter zu werden. „Ich will mehr Gerechtigkeit“, begründet der Student. Er kenne Fälle, wo Menschen trotz einer verübten Straftat frei gesprochen, aber auch solche, die schuldlos verurteilt wurden. Das stachle ihn an. Wie viele Türken unter den 800 Jurastudenten seines Jahrgangs seien, frage ich ihn. Ein paar Mädchen, antwortet er, aber aus dem Oberland kenne er nur einen Türken seines Jahrgangs, der studiere Informatik.

Was sieht er als seine Heimat, sind die Wurzeln völlig gekappt? „Ich liebe meine Heimat, das ist Deutschland“, antwortet mir der junge Türke, auch sei er von seinem Vater im westlichen Sinne erzogen worden. Aber er fahre auch gern in die Türkei. Dort sei alles spontaner. Seine Verwandten aber wären doch sehr konservativ, nein, so wolle er nicht leben. Die türkische Sprache spricht Yakub mit seiner Mutter, aber er liest weder türkische Zeitungen, noch sieht er türkisches Fernsehen. Für ihn ist es wichtig, sein Studium gut zu absolvieren.

Am Ende unseres Gesprächs stellt sich heraus, warum Yakub etwas atemlos zu mir kam. Er war mit der BOB gefahren und die knapp vier Kilometer zu meiner Wohnung gejoggt, um pünktlich zu sein. Kein Wort im Vorfeld von: Ich habe kein Auto, oder der Termin passt mir nicht. Jetzt weiß ich, mit dieser Haltung wird der Junge mit anatolischen Wurzeln sein Ziel in Deutschland erreichen.

Monika Ziegler
Publiziert 25. Januar 2013