Julia Paul war das Küken in unserer Schreibwerkstatt. Wir alle waren fasziniert von ihrer Fantasie und ihrer kreativen Art zu schreiben. Wir wussten, dass sie Wirtschaftspsychologie studiert und kurz vor ihrem Bachelorabschluss steht. Wir wussten auch von zwei Leidenschaften, nämlich dem Schreiben und ihrem Pferd.

Dann gestand sie uns, dass sie nicht in der richtigen Spur ist, aber nicht weiß welches die richtige sein kann. Heute, ein Jahr später, erzählt sie mir ihre Geschichte.


Schon am Tegernseer Gymnasium entdeckte Julia ihre Neigung für Deutsch und Kunst, wählte aber dennoch den Leistungskurs in Wirtschaft/Rechtslehre, fand Rechtslehre ganz interessant und entschied sich für das Studium der Wirtschaftspsychologie. Eigentlich habe sie schon damals mit Hilfe eines Coachings ihre Talente entdecken wollen, aber ihr Freund habe ihr zum Studium und einem Nebenjob als Autovermittlerin im Internet geraten, sagt sie. Das sei ein schöner Nebenerwerb gewesen, mit dem sie ihr Studium habe finanzieren können. Als die ersten Praktika kamen, merkte sie, dass sie falsch ist. „Mir macht es keinen Spaß, Leuten Dinge anzudrehen, die sie gar nicht brauchen“, fasst Julia die Grundidee zusammen. Sie wählte den Zweig Markt- und Werbepsychologie, weil sie meinte, das sei kreativer als Arbeits- und Organisationspsychologie. Aber es störte sie massiv der Widerspruch von Psychologie und Betriebswirtschaftslehre. „In Psychologie lernst du, dass der Mensch an erster Stelle steht und in BWL, dass der Profit an erster Stelle steht.“ Ihr Schlüsselerlebnis sei gewesen, dass man eine Formel habe lernen müssen, die den Wert eines Mitarbeiters berechnet. „Ich habe mich geweigert, diese Formel zu lernen“, sagt sie.

Dazu kam, dass die Beziehung zum Freund, der voll auf die Ideologie von BWL einstieg, in die Brüche ging. Im fünften Semester sei sie total verzweifelt gewesen und habe sich nur noch gefragt, was mache ich hier eigentlich. Die Vorlesungen in positiver Psychologie begeisterten sie, aber das Profitstreben in BWL stieß sie ab. „Ich muss etwas machen, was Ziel führend ist, aber was?“, das sei die Frage gewesen. Und dann habe sie endlich das Coaching in Angriff genommen. Zwei Monate lang arbeitet sie mit einer Trainerin an ihren Stärken und Talenten, an ihren Weltbildern und an dem, was ihr wichtig ist. Und das war definitiv nicht das Geld.

„Es kamen zwei Sachen heraus“, erzählt Julia, „Coach oder Tierheilpraktiker“. Für Coach sei sie einfach noch zu jung, so habe sie sich entschlossen, eine Tierheilpraktikerschule zu besuchen. Aber zuerst machte sie ihren Bachelor in Wirtschaftspsychologie. Fand eine Prof, der eine Abschlussarbeit über Pferdesport haben wollte und schloss mit „gut“ ab. Seit einem Jahr besucht sie die Schule, „das ist perfekt“. Zwischenzeitlich tauchte auch die Idee auf, Tiermedizin zu studieren oder Tierarzthelferin zu werden, aber jetzt ist sich Julia sicher, dass sie zunächst einmal als Heilpraktikerin für Tiere arbeiten möchte und aber noch eine Ausbildung als Heilpraktikerin für Menschen anschließen wird. Vielleicht könne sie dann später doch noch als Coach arbeiten, denn „Psychologie interessiert mich sehr“.


Dass alternative Heilmethoden bei Tieren trotz des negativen Images von Esoterik wirken, hat sie an ihrem eigenen Pferd erfahren. Das Hannoveraner Halbblut war krank und in der Tierklinik hieß es, der wird nicht mehr. Aber Julia nahm die Stute zu sich und behandelte sie mit Massagen, mit Zureden und heute läuft sie wieder. Auch sie selbst ist von Alternativmedizin überzeugt. Sie hat seit zehn Jahren eine Autoimmunerkrankung, die das Blut nicht gerinnen lässt. Die Schulmedizin konnte nicht helfen, aber mit Naturheilkunde und Homöopathie habe sie jetzt ihre Krankheit im Griff und sogar eine Blinddarmoperation gut überstanden.


So absolvierte Julia schon mehrere Fortbildungen in Akupunktur und wird ab Herbst neben der Tierheilpraktikerschule erste Heilpraktikerseminare für Menschen belegen. Und im Sommer geht sie mit einer Freundin auf die Alm, sie werden gemeinsam die Kühzaglalm hinter Enterrottach betreiben. Wenn neben der schweren Arbeit noch Zeit bleibt, wolle sie schreiben, erzählt mir Julia. Einen Frauenroman und Kurzgeschichten und vielleicht auch Songtexte, denn ihr erster Songtext ist schon fertig. Sie strahlt, denn sie hat Ziele vor sich, die sie erfüllen. Die Kühe auf der Alm werden sich freuen, denn Julia erkennt, wenn ihnen etwas fehlt. Und wir können uns freuen, wenn Julia schreibt. Das Küken ist flügge geworden und wir sind neugierig auf ihre Texte.

Monika Ziegler
Publiziert 16. Mai 2013