Harald Lesch und die Grenzen der Wissenschaft
Flip Chart statt Power Point: Professor Dr. Harald Lesch. Foto: Monika Ziegler
Vortrag in Weissach
„Vielleicht sind wir im Krieg und wissen es gar nicht.“ Mit diesen Worten begann Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch den letzten Vortrag des Semesters im Rahmen des Korbinians Kollegs in der Bachmair Weissach Arena.
Der aus dem Fernsehen bestens bekannte Universalgelehrte fesselte das zahlreich erschienene Publikum von der ersten Minute an durch seine brillante, lebendige und gesellschaftlich relevante Rede. Ohne Power Point Präsentation, denn diese lasse den Frontallappen im Hirn kollabieren, dafür mit der guten alten Flip-Chart, illustrierte der Professor von der LMU München seine Botschaften.
„Digitalisierung first, Bedenken second“
Den Unterschied, was die Wissenschaft geben und die Gesellschaft leisten könne, demonstrierte er an zwei Beispielen. Da ist zunächst der Angriff der Cyberkrieger auf die Ministerien der Bundesregierung, „ein unschätzbares Risiko“, wie Lesch sagte und feststellte: „Wir haben die Grenzen der Wirklichkeit in Technologie verwandelt.“ Damit seien die Grundfesten destabilisiert, denn es gehe hier nicht nur um geistiges Eingreifen, sondern um die ganz konkrete Gefahr für die Infrastruktur unseres Landes, Beispiel Energie, Beispiel Wasser. „Wir hängen von einer Technologie ab, die wir nicht verstehen“, sagte Lesch lakonisch und resümierte: „Digitalisierung first, Bedenken second.“
Autos nach Grenzwerten bauen
Auch beim zweiten Beispiel, dem Fahrverbot wegen der Gefahr der Stickoxide von Dieselmotoren, wurde er emotional. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Stickoxide gefährlich sind, es gebe Grenzwerte, die Gesellschaft wisse um das Ursache-Wirkungs-Prinzip und dennoch siege ökonomischer Rationalismus der Automobilindustrie. „Die Unternehmen machen Gewinne und tun so als ob sie es nicht gewusst hätten“, sagte er in der Diskussion. Er erwarte von der Industrie, dass Autos nach den Vorgaben der Grenzwerte gebaut werden.
Harald Lesch in Interaktion mit dem Publikum. Foto: Monika Ziegler
Im zweiten Teil seines Vortrages nahm Harald Lesch das atemlos zuhörende Publikum mit auf eine Reise in die Astrophysik, eine Reise in die Vergangenheit und in ferne Galaxien. Er betonte, dass die vom Menschen entdeckten Naturgesetze überall im Universum gelten, dass die Naturkonstanten, wie das Plancksche Wirkungsquantum oder die Lichtgeschwindigkeit feste und nicht unter- bzw. überschreitbare Größen sind. Und er wies darauf hin, dass sich jede Theorie in der Praxis, sprich dem Experiment, zu bewähren habe, diese sei der Gerichtshof der Theorie.
Durch Fluktuation entsteht Neues
Lange habe man geglaubt, dass die Welt stabil sei, die Erde eine Maschinerie, die man sich untertan machen müsse und dass man sich beim technischen Handeln auf diese Stabilität verlassen könne. Aber durch Fluktuationen entstehe Neues, jeder im Saal sei der lebendige Ausdruck von Instabilität, da er etwas Neues darstelle.
Bald ist die kritische Menge erreicht. Foto: Monika Ziegler
Der Wissenschaftler demonstrierte seine Botschaft, indem er sich ein Glas Wasser eingoss. Sobald die kritische Größe erreicht sei, das Glas also voll, laufe es über, der Zustand kippe. Fazit: In der Inventur der Welt, ihrem Status sei die Wissenschaft gut, aber welche Prozesse künftig die Welt verändern, diese Vorhersage sei problematisch.
Wir sind Sternenstaub
Als Beispiel nannte er die Klimaerwärmung, die jetzt schon so weit vorangeschritten sei, dass man in Sibirien den Boden heizen müsse, weil sonst durch das Auftauen des Permafrostes eine instabile Situation erreicht würde. Allerdings sei auch unser aller Existenz das Ergebnis einer instabilen Situation, als nämlich vor 4,7 Milliarden Jahren eine Super Nova explodierte und unser Sonnensystem entstand. „92 Prozent Ihrer Materie ist Sternenstaub“ zitierte er.
Immer wieder brachte er in die wissenschaftlichen Erkenntnisse bildhafte Beispiele hinein, die für den Nichtphysiker anschaulich waren, so der Vergleich, dass unsere Fingernägel so schnell wachsen wie die Plattentektonik Kontinente verschiebt.
„Unser Name ist Sisiphos“
Harald Lesch schloss seine Ausführungen mit der Feststellung, dass sich das Universum viel Arbeit mit unserem Planeten gemacht habe und es nun aber unsere Aufgabe sei, dafür zu sorgen, dass alle Menschen gedeihlich auf diesem Blauen Planeten leben können. Und nicht, dass galaktische Entwicklungshelfer eines Tages sagen müssen: „Wir müssen es woanders probieren. Unser Name ist Sisiphos.“
Tätige Politik hat Interesse an Wissenschaft
Auf die Frage, ob er die Zukunft optimistisch sehe, antwortete der Wissenschaftler, der im bayerischen Klimarat tätig ist: „Ich habe die Hoffnung, dass wir es schaffen und den Weg für andere Länder bereiten.“ Alle würden dem westlichen Modell der Ressourcenausbeutung nacheifern, aber das sei der falsche Weg. Er zollte der tätigen Politik Beifall, also fern der öffentlichen Statements, der Politik, die hinter den Kulissen wichtige Arbeit verrichtet, die großes Interesse an der Wissenschaft habe.
Der Philosoph Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl leitet das Korbinians Kolleg. Foto: Monika Ziegler
Das Korbinians Kolleg, von Hotelier Korbinian Kohler und Professor Wilhelm Vossenkuhl ins Leben gerufen, hat das Ziel über substantielle Dinge des Lebens nachzudenken. Kohler zeigte sich sprachlos von der Resonanz, die die Reihe beim Publikum hat. Auch Philosoph Vossenkuhl freute sich, dass die Themen so viele Menschen anlocken. Den Redner am Freitag stellte er als homo universale vor, der schon mit zahlreichen Preisen geehrt sei, den Deutschen Fernsehpreis errungen habe und nicht nur Physiker und Philosoph, sondern auch ein politischer Mensch sei.
Korbinian Kohler öffnet sein Hotel für Fragen der Zeit. Foto: Monika Ziegler
Hier finden Sie die Artikel zu den anderen Vorträgen des Wintersemesters:
Körpersprache und Identität mit Herlinde Koelbl
Digitalisierung und Sicherheit mit Ralf Wintergerst
Schrecklich schön und weit und wild mit Matthias Politycki
Denken und Gehirn mit Benedikt Grothe