Mystik

Marion Küstenmacher macht neugierig auf Mystik

Marion Küstenmacher bei ihrem Vortrag. Foto: Elisabeth Neuhierl

Vortrag in Holzkirchen

Wie werde ich Mystiker oder Mystikerin? Muss man da nicht schon längst tot sein? Wie komme ich in den tiefsten Bewusstheitsraum, um Gott zu erleben? Welche Bewusstseinszustände lassen sich etwa durch die Traumforschung erklären? Tiefgehende Fragen und ebensolche Antworten brachte die evangelische Theologin Marion Küstenmacher ihrer Zuhörerschaft beim ökumenischen Frühstück im Holzkirchner Thomassaal nahe.

Schnell ist klar: das wird nach dem vorzüglichen Frühstücksbuffet keine leichte Kost für die rund 70 Interessierten. Höchst philosophische und naturwissenschaftliche Fragestellungen erfordern Konzentration und aktives Zuhören. Kurzweilig wird der Vortrag „Der offene Augenblick“ allemal, denn Marion Küstenmacher versteht es, uns auf eine spannende und lehrreiche Reise mitzunehmen.

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Das Publikum im Thomasaal hört konzentriert zu. Foto: Elisabeth Neuhierl

Mystik demokratisieren

Das ist ein Anliegen der Referentin. Mystik soll aus der rein katholischen, zölibatären, esoterischen Ecke geholt werden. Sie plädiert für eine „aufgeklärte“ Mystik als ein Kerngeschäft der Religionen und zitiert den katholischen Theologen Karl Rahner: „Kirche wird (in Zukunft) mystischer sein, oder sie wird untergehen.“
Dorothee Sölles Buch „Hinreise“ war für Küstenmacher mit ein Auslöser, sich intensiver mit Mystik zu beschäftigen. Der Protestantismus habe die Reformation im Blick auf die Mystik nicht „durchgezogen“, findet sie. Nicht zurückfallen in abergläubisches, irrationales und magisches Denken ist der Ansatz der renommierten Autorin.
Bewusstseinszustände sind fließend, vorübergehend und beeinflussbar, überschreibt sie einen Exkurs in die Neurowissenschaft und erklärt Untersuchungen zur Schlaf- und Traumforschung. Von höchster Konzentration bis zur tiefsten Versenkung begleiten uns Beta-, Alpha-, Theta- und Deltawellen. Tagtäglich sind sie vom Wachsein bis zum Tiefschlaf bei jedem Menschen vorhanden. Wie also sich lösen hin zur Versenkung? Im Traum geschieht das ohne Einflussnahme. In der Mystik braucht es Techniken, Hilfestellungen.

Bekannte Mystiker zeigen unterschiedliche Versenkungsgrade

Meister Eckhart (1260-1328) beschreibt den Bildungsweg der Seele als einen Weg in mehreren Phasen. Von Ein-bilden, Aus-bilden, Ent-bilden über die Eben-bild-lich-keit zum Über-bilden verläuft der Weg hin zur tiefsten Versenkung. Der Weg geht von außen nach innen, um schließlich ganz tief innen, Gott zu erleben.

Küstenmacher stellt den Weg zu Gott durch Mystiker aus verschiedenen Jahrhunderten vor.
Bei Henry David Thoreau (1817-1862), einem amerikanischen Schriftsteller, Lehrer und Gelegenheitsarbeiter, ist es das Bild der Trommel, das unsere innere Sehnsucht symbolisiert. Wir hören den Klang der Trommel oft nicht sofort. Es braucht Zeit, bis wir uns fragen: „Ist das schon alles gewesen? Stimmt mein Leben mit meinem Inneren überein?“

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Marion Küstenmacher mit ihrem Buch. Foto: Elisabeth Neuhierl

Bei Jakob Böhme (1575-1624), einem protestantischen Schuhmachermeister, ist es die „Wiese als Lehrmeisterin“. Er fordert uns auf: „Beginne draußen in der Natur und lerne die Wirklichkeit zu begreifen vom sapere (Schmecken) zur sapientia (Weisheit)“.
Das „Sakrament des Augenblicks“ lehrte der Jesuitenpater Jean-Pierre de Caussade (1675-1751).

Die 2. Stufe, das „Aus-bilden“, veranschaulicht die Referentin mit einer Reihe von Beispielen. Da wurden etwa die Mystiker Augustinus, Meister Eckhart (Tür und Angel als Bild vom äußeren und inneren Menschen) und der islamische Theologe Rumi (1207-1273) vorgestellt. Sein Spruch „Gottes Freude ist wie Kisten ohne Aufschrift“ beinhaltet die Frage: „Was könnte wohl darin sein?“ Interessant war auch die „Entgröberung der Seele“ von Luthers Weggefährten Thomas Müntzer (1489-1525). Schon damals also waren Besitz – Macht – Image ein Thema. Wie abhängig bin ich davon? Wie empfindlich bin ich?

Beim Übergang vom Aus-bilden zum Ent-bilden stellt die Referentin das Problem des „Wechselns vom Visuellen zum Lauschen“ in den Vordergrund. Oft sei das eigene Ich blockiert, erklärt Küstenmacher. Um die „Ebene des Nichts zu erreichen“ (Rabbi Dow Bär von Mesritsch, 1710-1772) braucht es das Loslassen aller Konzepte. Dabei plädiert sie als Einstieg für eine 5-minütige Übungspraxis täglich, um die Bewusstseinsstrukturen zu verändern. Allein oder in der Gruppe kann man mit sich selbst „in den inneren Dialog treten und sich jeden Tag nur eine kleine Weile aus den eigenen Aktivitäten zurückziehen“. Sich der Stille hingeben.

Tiefste Erfahrungen und lebendige Nächstenliebe

Die tiefsten Stufen sind „nonduale“ Erfahrungen, die „unio mystica“, die Einheit von Seele und Gott, die mystische Vereinigung mit Gott in der Eben-bild-lich-keit, so wie Jesus sie beschrieb: „Ich und der Vater sind eins“. Die höchste Stufe heißt aber nicht Weltabgewandtheit sondern Dienst in und an der Welt. „Der nächste Mensch ist immer der wichtigste“ (Meister Eckhart). Marion Küstenmacher sagt das mit modernen Worten: „Mystisch ist inklusiv, nicht exklusiv.“ Und gibt uns eine einfache Regel mit auf den Weg: „Magie will etwas haben, Mystik will etwas loslassen.“

Christiane Brunner vom Arbeitskreis Ökumene dankte im Anschluss für viele interessante Gesichtspunkte zum Thema Mystik und sprach von „Mystik als einem Weg zu Gott, der allen offen steht“.

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Redaktion und Vorstand von KulturVision e.V. wünschen frohe Ostern! Foto: Elisabeth Neuhierl

Das Buch zum Vortrag „Der offene Augenblick“ ist erschienen im Kösel-Verlag, München, 2012.

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