Sie stammt aus Offenbach und wollte schon immer in der Gestaltung arbeiten, lernte Dekorateurin und musste feststellen, dass sie als Frau nicht Chefdekorateurin werden konnte. So wechselte sie zu einem Fotostudio und wurde Stylistin im Bereich Mode und Interior. Jahrelang war sie für ein sehr großes Studio, zu dessen Kunden zum Beispiel Neckermann zählte, tätig. „Ich habe viel gearbeitet, war viel auf Reisen, habe an den saisonalen Katalogen mit gearbeitet“, erzählt sie. Zu ihren Aufgabengebieten gehörte Organisation, die Einteilung der Models, Verantwortung für das Outfit.

Nach fünf Jahren machte sie sich mit ihrem Partner, dem Fotografen Wolfgang Herrmann, selbstständig. „Wir haben 28 Jahre lang zusammen gelebt und gearbeitet, 24 Stunden am Tag, das war schon eine Herausforderung“, kommentiert sie lächelnd. Gut sei gewesen, dass sie ihre Eigenständigkeit bewahrt habe, negativ indes, dass sie voll auf ihn konzentriert war. Das Fotostudio lief sehr gut, der Hauptkunde Karstadt schickte sie in die ferne Welt, USA, Südafrika. „Wir wurden gemeinsam gebucht, hatten einen Arbeitstag von 18 Stunden, kein Wochenende, es war eine gute Zeit.“ Nie habe sie über eine Veränderung nachgedacht, sondern sich in ihrem Leben wohl gefühlt.

Traten Leerzeiten auf, besuchte sie mit ihrer Freundin Kunstmärkte und begann aus Fimo Bilder zu modellieren. Diese konnte sie in der Galerie Ostheimer in Frankfurt ausstellen. „Das war ein schöner Ausgleich im künstlerischen Bereich“, sagt Brigitte Müller. Fünf Jahre lang gestaltete sie ihre figürlichen Fantasiebilder aus der Märchenwelt.

Ihr eigentlicher Beruf, das Styling, füllte sie aus und nie hätte sie es aufgeben wollen. Aber im Laufe der Zeit veränderte sich der Job. „Die Models wurden immer jünger, zum Teil kamen sie schon mit 15 Jahren“, berichtet sie. Gleichzeitig wurden die auftraggebenden Teams stark verjüngt. Es sei eine junge Branche, in der sie tätig war, stellt sie fest. Die Aufträge wurden weniger und ihr Partner Wolfgang Herrmann nahm einen Job im Marketing an. Plötzlich, mit Mitte fünfzig, war Brigitte Müller allein. „Alles ist zusammen gebrochen“, erinnert sie sich und die Frage tauchte auf: Was mache ich jetzt?

Ihr wurde klar, dass sie zu alt für die Modebranche war. Sie fühlte sich allein gelassen, traurig und mutlos, der Körper reagierte mit einem Bandscheibenvorfall. Für ihre künstlerische Tätigkeit fehlte die Kraft. Der Spurwechsel in ihrem Leben wurde durch einen Ortswechsel eingeleitet. Brigitte Müller kam vor drei Jahren in eine Klinik an den Chiemsee. „Diese drei Monate haben meinem Leben eine Wende gegeben“, ist sie heute sicher. Durch eine Mitpatientin kam sie nach Bayrischzell. „Ich fand den Ort wunderschön“, sagt sie, suchte eine Wohnung, fühlte sich geborgen, der Heilungsprozess beschleunigte sich.

Ihr Partner besuchte sie am Wochenende und siedelte letztlich ebenfalls ins Oberland um. Seinen Spurwechsel wird hier auch beleuchtet.

Heute nach zweieinhalb Jahren, sitzt mir eine zufriedene Frau gegenüber. Sie hat den Wechsel akzeptiert und versucht mit Papierarbeiten, die sie auf Kunsthandwerkermärkten anbietet, eine neue Herausforderung anzunehmen, sogar in die Bayrischzeller Kunstausstellung schaffte sie es im vergangenen Jahr. Heuer nicht. Auch wenn das traurig stimmt, sieht es Brigitte Müller gelassen und will ihre Kreativität ausleben. Dazu verwendet sie eigene Fotos, die sie nachbearbeitet und verfremdet. Sie verbindet diese mit Acrylmalerei und gestaltet damit ganz individuelle Papierarbeiten. Viel Asiatisches verwendet sie mit Papieren aus Tibet und Nepal und gestaltet unterschiedlichste Collagen, die sie zu Bildern, Karten, Lesezeichen, Geschenkverpackungen verarbeitet.

Sehr spannend findet sie ihren Umbruch und Aufbruch und ist froh, in Bayrischzell gelandet zu sein. Da gebe es einen Schaukasten, wo sie ihre Arbeiten präsentieren könne und sehe freudig in die Zukunft. „Ich fühle mich sehr wohl“, sagt sie, „ich habe den Eindruck einer Großfamilie und beim Bäcker bin ich nicht fremd.“ Sie fühle sich aufgenommen und anerkannt, nicht als die Frau des Fotografen, sondern als sie selbst.

Erzwungen und schmerzhaft sei dieser Spurwechsel gewesen, aber erst jetzt erkenne sie, dass nur aus dem Schmerz sich etwas wirklich Neues entwickeln könne. Und diese neuen Möglichkeiten bedeuten für sie eine positive Entwicklung. Eine Entwicklung, die sie allein verfolgt. Das Zutrauen zu sich selber hat Brigitte Müller durch professionelle Begleitung gefunden. Und das empfiehlt sie jedem in ähnlicher Situation.

Monika Ziegler
Publiziert 12. September 2013